"Von Neumünster ging es nach Heide [und Lunden]."

Nach endloser Fahrt trafen wir [im Frühjahr 1941] in Neumünster ein. Ich sah die Sonne, ich fühlte die Luftbewegung. Frische Luft - das war für mich schon fast wie die Freiheit. Von Krieg nichts zu spüren. Wenn die Umstände nicht so waren, wie sie waren, wäre das ein Tag zum Genießen gewesen. Sich den Ort angucken, spazieren gehen, Menschen kennenlernen... Was wir hier sollten, wie lange es dauern, wie es mit uns weitergehen würde – kein Wort von alledem. Drei Tage hauste ich mit den anderen in einem Kino oder öffentlichen Gebäude - in Deutschland feierte man Pfingsten. In den Ort durften wir natürlich nicht. Im Grunde genommen durften wir uns überhaupt nicht bewegen.

Von Neumünster ging es nach Heide. Im Arbeitsamt in der Ernst-Mohr-Straße haben wir ein, zwei Nächte in Etagenbetten verbracht, draußen gab es endlich auch Wasser zum Waschen – kaltes Wasser, aber Wasser. Wir wurden registriert, aufgeteilt und bekamen Nummern.

Eine Gruppe, darunter ich, wurde nach Lunden gebracht, wo sich deutsche Frauen Menschen aussuchten. Sie zeigten mit dem Finger auf jene, die sie haben wollten. So begann ich bei Johann Klusen (?) zu arbeiten. Der Bauer hatte Frau und zwei Kinder (von denen eines an der Front umkam). Außer mir war noch eine andere Zwangsarbeiterin dort, ein 15jähriges Mädchen – Helena Chyza.

Mein Schlafplatz war auf dem Dachboden, wo es sehr dunkel und im Sommer unheimlich schwül war. Zu meinen täglichen Aufgaben gehörte: Waschen, Aufräumen, Kochen, die Tiere zu versorgen und alle Arbeit im Feld und Garten zu verrichten. Gearbeitet wurde von frühmorgens bis in den Abend hinein, 10, 11 Stunden, manchmal auch mehr, je nachdem, wie viel zu tun war. Frei gab es nur sonntags, wenn überhaupt. Am freien Tag konnten wir aber von anderen Deutschen ausgeliehen werden, um zum Beispiel dann dort im Haushalt zu arbeiten oder das Grundstück zu säubern. Im Gegensatz zur Bäuerin ging der Bauer mit mir gut um, das half mir Deutsch zu lernen. So wurde das Leben für mich etwas einfacher.

Eine Situation habe ich deutlich in Erinnerung behalten. An einem Samstagnachmittag putzte Helena die Treppe, während ich das Abendbrot vorbereitete. Die Bäuerin kam um uns zu kontrollieren, ob wir die befohlene Arbeit auch machten. Sie war wütend, dass Helena nicht die Treppe machte, sondern bei mir in der Küche war und fing an sie fürchterlich zusammenzuschlagen. Ich versuchte ihr zu erklären, dass Helena mit mir gemeinsam das Essen vorbereiten wollte und eben damit begonnen hatte. Die Frau sagte nun nichts. Solche Situation gab es später dann nie mehr. Trotzdem wollte ich dort eigentlich bis zum Ende des Krieges bleiben, weil ich glaubte, dass er bald vorbei sei.

Die Arbeit war nicht leicht, aber man kann sich an alles gewöhnen. Ich sprach darüber mit Helena. Sie war noch ein Kind, ihre Eltern waren auf der Flucht umgekommen. Als ich dann von Lunden wegmusste, sah ich Helen nie mehr. Ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist. Das Essen war dort übrigens dasselbe wie das der Bauern. Ich musste keinen Hunger leiden. Ich bekam von ihnen auch Kleidung. Den ganzen Tag über war ich in der Regel im Haus, nur ab und zu machte ich im Ort Einkäufe.

Nach vier Monaten kam ich im Sommer 1941 in die Ausländerbaracke des Krankenhauses in Heide/Holstein: ich hatte mir beim Sirupkochen aus Rüben die Hand schwer verbrannt und konnte nicht arbeiten. Nach Hause hätte ich nur als Tote, allenfalls als Schwerstkranke, die den Deutschen nichts mehr nutzt, gekonnt. Aus der Polenkrankenstation kam ich – ebenfalls in Heide – für knappe drei Monate in einen Haushalt mit sieben Kindern. Der Mann arbeitete als Kommandant von französischen Kriegsgefangenen außerhalb des Ortes.