Die Todesursachen
Die am häufigsten in den Sterbefallanzeigen genannte Todesursache ist die sogenannte „Ernährungsstörung“: Daran verstarben in Wiemersdorf offiziell Beruta Briganska, Nina Büsom, Johann Marciniak, Irene Mesjasz, H.W. Pawlowska, Janina Posluschny, Stanislaus Watczyk, Jan Stanisch und Julek Polzik. Bei den beiden Letztgenannten kam es außerdem zu einem „Versagen des Kreislaufs“. Bei Anna Czajlawska waren es eine „Dyspepsie“ (Verdauungsstörung) und eine „Entzündung am Oberschenkel“. Ella Wowk starb offiziell an einer „Pneumonie“ (Lungenentzündung). Für Ewgenij Kasakowzew wurden eine Meningitis und Tuberkulose als Todesursachen festgestellt. Bei Jenni Smoljakowa wurden in der Sterbefallanzeige Meningitis und Otitis Medra genannt, gemeint war höchstwahrscheinlich Otitis media (Mittelohrentzündung).
Es kann somit festgestellt werden, dass der oben erwähnte Erlass des Reichsernährungsministeriums vom 6. Januar 1944 (Verbesserung der Ernährungssituation in „Ausländerkinder-Pflegestätten“) in Wiemersdorf keine positiven Auswirkungen gehabt hat. Vielleicht ist er hier aber auch unbekannt geblieben, denn die Anzahl der Todesfälle häuft sich im weiteren Verlauf des Jahres 1944. Fraglich ist auch, ob die Verantwortlichen in Wiemersdorf über die (oben geschilderten) Ansichten Himmlers hinreichend informiert gewesen sind. Jahrelang war den „Volksgenossen“ beschrieben worden, dass die Polen und die „Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion „Untermenschen“ seien, die nicht das gleiche Lebensrecht wie die Angehörigen „arischer Völker“ hätten. Diese Einstellung hatte sich bei überzeugten Nationalsozialisten verfestigt, und wenn diese dann auch noch öffentliche Ämter, wie z.B. das Amt eines Bürgermeisters, inne hatten, konnte man in einem Dorf wie Wiemersdorf sehr wohl die Ansicht vertreten, dass die örtliche Molkereigenossenschaft den Säuglingen im „Ostarbeiter-Kinderheim“ keine Milchprodukte zur Verfügung stellen sollte. Damit wären dann „Ausländerkinder-Pflegestätten“ zeitgleich Orte des Sterbens gewesen.
Die Beerdigungen: Können Säuglinge „feindliche Ausländer“ sein?
Diese Menschen verachtenden Verhaltensweisen konnten auch in Bad Bramstedt beobachtet werden: Im chronologischen Beerdigungsregister der Kirchengemeinde Bad Bramstedt wurde hinter den Namen der verstorbenen Säuglinge aus Wiemersdorf (und anderen Orten) vermerkt, dass sie auf dem Friedhof II in einem Sammelgrab für „Feindliche Ausländer“ begraben worden seien. Für diese Eintragungen ist eigentlich der örtliche Pastor verantwortlich. Hier war es Pastor Christiansen, der aber damals „eingezogen“ und zumeist ortsabwesend war. Pastor Hofmann schreibt dazu in einer e-mail an den Autor: „Ich gehe davon aus, dass der Vermerk "feindlicher Ausländer" nicht auf Pastor Christiansen zurückgeht. Das Schriftbild im chronologischen Register hält sich durchgängig auch in der Zeit seiner Abwesenheit. Ich denke, man muss davon ausgehen, dass die damalige Kirchenbuchführerin Fräulein Anna Petersen die Eintragungen in die Register vorgenommen hat oder der Kuhlengräber Bielenberg, was ich für weniger wahrscheinlich halte.“ Nach Einschätzung von Pastor Hofmann war Fräulein Petersen eine "tragende Säule" der Kirchengemeinde in allen Bereichen über Jahrzehnte. Sie war aber „auch Sekretärin für die NSDAP“ und das Kirchenbüro wurde somit in „Doppelfunktion genutzt“.[46]
[Das Sammelgrab für „Feindliche Ausländer“ wurde 1950 in einem Plan vom Friedhof in Bad Bramstedt als „Massengrab“ bezeichnet (oben links).]
Henry Hetner („Pole“) wurde am 9. Januar 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Reihengrab Feindliche Ausländer Nr.3) begraben.Paul Burenina ist am 7. August 1944 in Alveslohe verstorben
und wurde auf dem Friedhof in Kaltenkirchen beerdigt (Quartier 1, Reihe 1, Grab 83).Heinrich Wladislaw Pawlowska ist am 20. August 1944 in Wiemersdorf verstorben
und wurde am 23. August 1944 unter der Nummer 611/44 in Neumünster auf dem Friedhof (N. Ost 0 III 280) beerdigt.Johann Marciniak („Pole“) wurde am 5. September 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.7) begraben.Ewgenij Kasakowzew ist am 4. September 1944 im Stadtkrankenhaus in Neumünster verstorben
und wurde in Neumünster unter der Nummer 635/44 auf dem Friedhof (N. Ost 0 III 265) beerdigt.Julek Polzik („Pole“) wurde am 27. September 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.8) begraben.Jenni Smoljakowa ist am 26. September 1944 im Stadtkrankenhaus in Neumünster verstorben
und wurde am 29. September 1944 in Neumünster unter der Nummer 677/44 auf dem Friedhof (N. Ost 0 III 279) beerdigt.Janina Posluschny („Pole“) wurde am 5. Oktober 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.9) begraben.Stanislaus Watczyk wurde am 5. Oktober 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.12) begraben.Irene Gryglak wurde am 5. Oktober 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.10) begraben.Jan Stanisch wurde am 5. Oktober 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.11) begraben.Irene Mesjasz ist am 4. Oktober 1944 in Wiemersdorf verstorben
und wurde am 6. Oktober 1944 unter der Nummer 695/44 in Neumünster auf dem Friedhof (N. Ost 0 III 278) beerdigt.Beruta Briganska wurde ins Krankenhaus nach Neumünster eingewiesen und ist dort am 25. Oktober 1944 verstorben.
Sie wurde auf dem Friedhof in Neumünster (wahrscheinlich N. Ost 0 III 303) beerdigt.Anna Czajlawska wurde ins Krankenhaus nach Neumünster eingewiesen und ist dort am 18. November 1944 verstorben.
Sie wurde in Neumünster auf dem Friedhof (N. Ost 0 III 705) beerdigt.Ella Wowk wurde am 25. November 1944 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.14) begraben.Nina Busum wurde am 1. Februar 1945 in Bad Bramstedt beerdigt
und auf dem Friedhof II (Feld 4 Feindliche Ausländer Nr.17) begraben.
War das "Ostarbeiter-Kinderheim" eine "Ausländerkinder-Pflegestätte"? Zurück © Uwe Fentsahm (Brügge, zuerst im Juni 2020)
[46] Pastor (i.R.) Hofmann in einer e-mail vom 25. Oktober 2019 an den Autor.