Der Gedenkort „Ostarbeiter-Kinderheim" Wiemersdorf“

[Ziegeleiweg 1a]

 

Am 24. November 2024 wurde in Wiemersdorf ein Gedenkort für 16 Kinder errichtet, die in der Zeit (von Anfang) 1944 bis (zum Kriegsende) 1945 im sogenannten „Ostarbeiterkinderheim“ untergebracht waren und nach einer nur sehr kurzen Lebenszeit verstorben sind. [1] Zehn von ihnen sind nachweislich direkt in diesem Heim in Wiemersdorf verstorben. Ein Kind starb in Wiemersdorf in der Wohnung des Bauern, bei dem seine Mutter als NS-Zwangsarbeiterin eingesetzt war. Gleiches gilt für ein Kind, das in Alveslohe in der Wohnung des Bauern verstorben ist, bei dem seine Mutter Zwangsarbeit leisten musste. Vier Kinder wurden noch in das (damalige) Stadtkrankenhaus nach Neumünster gebracht und sind dort verstorben. [2]

[Die Gedenkfeier vom 24.11.24 in Wiemersdorf (Ziegeleiweg 1a), Foto: Frank Starrost]

 

Die Bezeichnung „Ostarbeiterkinderheim Wiemersdorf“ wurde beim Anfertigen der zugehörigen Sterbefallanzeigen im (damaligen) Standesamt in Wiemersdorf verwendet. [3] Es sind die Namen von drei Frauen bekannt, die als Kinderpflegerin in dem Heim arbeiten sollten: Helena Rybak, Sabina Droschdowski und die damals noch nicht einmal 15jährige Nadeschda Rostowski. [4] Aus Berichten von Zeitzeugen geht hervor, dass die Ernährung der Kinder nicht hinreichend gewährleistet war und die Pflegerinnen u.a. in der örtlichen Meierei um Milchprodukte für die Verpflegung der ihnen überlassenen Kinder gebeten haben. Diese Bitten sind abschlägig beschieden worden - wohl auf Anweisung des Bürgermeisters oder auch des Leiters der Meierei. Das hatte den Tod der 16 Kinder zur Folge. Henry Hetner starb am 5. Januar 1944 in Wiemersdorf („in der Wohnung des Bauern Hans Horns“). Heinrich Wladislaw Pawlowska war am 20. August 1944 der erste, der nachweislich im „Ostarbeiterkinderheim“ verstorben ist. Von den 16 Kindern sind neun auf dem Friedhof in Bad Bramstedt beerdigt worden, sechs in Neumünster und ein Junge in Kaltenkirchen. [5]

Es ist naheliegend, dass das „Ostarbeiterkinderheim“ in Wiemersdorf als sogenannte „Ausländerkinderpflegestätte“ dienen sollte. Ein entsprechender Erlass war am 27. Juli 1943 von Heinrich Himmler erlassen worden. [6] Über den Reichsbauernführer wurden die Landesbauernführer und die Kreisbauernführer darüber informiert, dass in jedem Landkreis „Kinderbetreuungsläger Fremdvölkischer“ einzurichten seien. [7] Die Arbeitskraft der (zumeist in der Landwirtschaft tätigen) Mütter konnte auf diese Weise effektiver ausgenutzt werden. Wenn aber Mutter und Kind an verschiedenen Orten untergebracht waren, gab es keine Möglichkeit zum Stillen der Kinder. Ihr Tod wurde von den Verantwortlichen „sehenden Auges“ in Kauf genommen. [8]

In Schleswig-Holstein sind während des zweiten Weltkrieges rund 2.000 ausländische Kinder verstorben. Ihre Gräber wurden 1947 vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in den ersten Listen als Kriegsgräber aufgenommen. Das Kriegsgräbergesetz von 1952 gestattete es aber nur, dass die Gräber von „ausländischen Arbeitern“ als Kriegsgräber anerkannt wurden. [9] Sie sollten dauerhaft bestehen bleiben und für ihre Pflege wurde jährlich eine finanzielle Pauschale vom Bund über die Länder an die Träger der Friedhöfe ausgezahlt. Die Kindergräber waren von dieser Regelung ausgenommen, und 1955 wurde vom schleswig-holsteinischen Innenministerium per Erlass angeordnet, dass alle Kindergräber aus den offiziellen Kriegsgräberlisten des Volksbundes zu streichen seien. [10] Für die Pflege der Kindergräber konnten also keine finanziellen Mittel erwartet werden. Die logische Folge war, dass die Träger der Friedhöfe kein Interesse mehr an den Kindergräbern zeigten und diese möglichst schnell abräumen ließen. In späterer Zeit wunderten sich Besucher von Friedhöfen, dass die einstmals vorhandenen Gräber der ausländischen Kinder verschwunden waren. [11]

Inzwischen ist die Kirchengemeinde Bad Bramstedt vorangegangen und hat unter der Leitung von Hans-Jürgen Kütbach im Jahre 2023 für eine Rekonstruktion der ehemals vorhandenen Kindergräber gesorgt. Jedes Kind wird namentlich mit seinen Lebensdaten auf einem kleinen Findling erwähnt. Darunter befinden sich auch die oben genannten neun Kinder aus Wiemersdorf. [12]

 

[Gudrun Offen und die von ihr geschaffene Steinskulptur, Foto: Helge Buttkereit]

 

Im November 2024 hat sich nun auch die Gemeinde Wiemersdorf ihrer historischen Verantwortung gestellt und am ehemaligen Standort des „Ostarbeiterkinderheimes“ (im Ziegeleiweg 1a) einen Gedenkort eingeweiht. Die Wiemersdorferin Gudrun Offen hatte schon vor geraumer Zeit eine Steinskulptur angefertigt, die nun aufgestellt und mit einer erläuternden Tafel versehen wurde. Die Namen aller 16 verstorbenen Kinder werden hier mit ihren Lebensdaten genannt. Frau Pastorin Fenske aus Bad Bramstedt hielt zunächst eine Andacht und verlas anschließend (zusammen mit der Bürgermeisterin von Wiemersdorf Frau Kruppa) in Anwesenheit von mehr als 70 Einwohnerinnen und Einwohnern die Namen der 16 verstorbenen Kinder und ihre Lebensdaten. Anschließend traf man sich noch in einer örtlichen Gaststätte und ließ sich vom Autor über die politischen und historischen Hintergründe des ehemaligen Kinderheims informieren. Zahlreiche Zuhörende zeigten sich erstaunt: Von der Existenz des NS-Kinderheims hatten sie zuvor in 40 Jahren noch nichts gehört. Alteingesessene gaben öffentlich Einblick in ihre tradierten Erinnerungen. Es gab aber niemanden, der die Existenz des Heimes angezweifelt hätte. Die Veranstaltung diente insgesamt der innerdörflichen Aussprache und Verständigung. Das war nicht selbstverständlich und ist an anderen Orten auch schon ganz anders abgelaufen. Inzwischen wird die Geschichte des "Ostarbeiterkinderheimes" auch sehr ausführlich auf der Homepage der Gemeinde dargestellt. [13]

 

Das "Ostarbeiterkinderheim Wiemersdorf" als Beispiel für eine "Ausländerkinder-Pflegestätte"

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© Uwe Fentsahm (Brügge, Dezember 2024)


[1] Helge Buttkereit hat am 26.11.2024 im Hamburger Abendblatt darüber berichtet: „Keine Überlebenschance: Gemeinde erinnert an 16 tote Kinder“.

[2] Siehe dazu Uwe Fentsahm: Das „Ostarbeiter-Kinderheim“ Wiemersdorf – eine „Ausländerkinder-Pflegestätte“ im Kreis Segeberg 1943-1945, in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg 2022, S.116-137. Auch online verfügbar unter: http://www.zwangsarbeiter-s-h.de/Ergebnisse/AKPS/AKPS-Wiemersdorf-1.htm

[3] Es wurden dafür die Sterbeurkunden und Sterbefallanzeigen des damaligen Standesamtes Wiemersdorf (heutzutage Amt Bad Bramstedt-Land) herangezogen: 01/1944, 15/1944, 17/1944, 19/1944, 20/1944, 22/1944, 24/1944, 25/1944, 23/1944, 31/1944 und 01/1945.

[4] Helena Rybak (laut Meldekarte am 3.4.44 zugezogen), Sabina Droschdowski (bei der Gemeinde Wiemersdorf beschäftigt und AOK-krankenversichert vom 3.5.44 bis 31.5.45) sowie Nadeschda Rostowski (laut Meldekarte am 23.8.44 zugezogen).

[5] Siehe dazu den Online-Beitrag des Autors: http://www.akps-schleswig-holstein.de/AKPS-Gedenken/AKPS-Gedenken_(Kreis-Segeberg)-Bad-Bramstedt.pdf

[6] Siehe dazu den Online-Beitrag des Autors: http://www.akps-schleswig-holstein.de/AKPS-Quellen/AKPS-Quellen-04.htm

[7] Siehe dazu den Online-Beitrag des Autors: http://www.akps-schleswig-holstein.de/AKPS-Quellen/AKPS-Quellen-06.htm

[8] Siehe dazu den Online-Beitrag des Autors: http://www.akps-schleswig-holstein.de/AKPS-Quellen/AKPS-Quellen-04-c.htm

[9] §6 e) des Kriegsgräbergesetzes vom 27. Mai 1952 (BGBl 1952, Teil I, S.320 ff.).

[10] Zu dem Erlass des Innenministeriums vom 2. Juli 1955 siehe den Online-Beitrag des Autors: http://www.akps-schleswig-holstein.de/AKPS-Graeber/Volksbundliste-1954.htm

[11] Siehe dazu Uwe Fentsahm: Die verstorbenen Kinder von NS-Zwangsarbeiterinnen: Warum sind ihre Gräber nach 1945 so schnell verschwunden? in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg 2023, S.164-173.

[12] http://www.akps-schleswig-holstein.de/AKPS-Graeber/Friedhof-Bad-Bramstedt-Kinder-2.pdf

[13] https://www.wiemersdorf.de/seite/741321/gedenkort.html