Mission Scapini

Artikel 86 räumte die Möglichkeit ein, dass der eigene Staat die Betreuung übernimmt. Am 16. 11. 1940 wurde ein entsprechendes Protokoll in Paris unterzeichnet, welches Frankreich zur Schutzmacht seiner eigenen Kriegsgefangenen erklärte. Für diesen Zweck wurde der „Service diplomatique des Prisonniers de Guerre“ (SDPG) eingerichtet, der die bisherigen Aufgaben der Vereinigten Staaten als Schutzmacht erhielt.[49]

Zum Chef des SDPG und in dem Rang eines französischen Botschafters wurde durch Marschall Petain ein Abgeordneter der Rechten, Scapini, ernannt. Scapini gehörte zu den Politikern, die Marschall Petain zur Übernahme der Regierungsvollmachten im August 1940 drängten. Außerdem war er treibendes Mitglied des Deutsch-Französischen Komitees, das ein Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich befürwortete. Sitz des diplomatischen Dienstes für die Gefangenen wurde Paris. Eine Delegation wurde in der Reichshauptstadt Berlin geschaffen. Die Besuchsberichte dieser Delegation wurden an die deutsche Regierung übersandt. Als Adresse wurde in einem Schreiben des OKW angegeben: Dienststelle des Botschafters Scapini, Letschin/ Oderbruch, Hotel zur Post.

Im Kopf der Mission tauchte häufig der Spruch „Au service du marechal“ (Im Dienste des Marschalls) auf.[50]

Im Frühjahr 1941 nahm die Mission Scapini ihre Tätigkeit auf. Sie löste die amerikanischen Beobachter in der Kontrolle der Behandlung der Kriegsgefangenen in den Lagern und Kommandos ab. „Hierzu stellte sie 10-16 Inspekteure ein, die das Recht hatten, in den Wehrkreisen herumzureisen. Ab 23. Mai 1941 wurde mit Zustimmung der Deutschen unter den Kriegsgefangenen in den Offizierslagern Vertreter gewählt. Sie erhielten die Bezeichnung „Delegierte der Mission Scapini“. Sie besuchten die Lager in Zivilkleidung, grundsätzlich immer zu zweit und in Begleitung eines deutschen Offiziers. Sie nahmen Kontakt auf zu Vertrauensleuten, informierten sie über die Mission und sammelten etwaige Beschwerden über das Leben in den Lagern und Kommandos. Auch die Kommandos konnten sie besuchen, sei es, daß sie sich systematisch einen Gesamtüberblick über die Lage der Gefangenen beschaffen, sei es, daß sie gezielt solche Kommandos aufsuchten, aus denen ihnen früher größere Schwierigkeiten gemeldet worden waren. Das alles hing natürlich vom guten oder schlechten Willen der Deutschen ab. Die Delegierten berichteten dann der Delegation in Berlin über ihre Besuche.“

Im März 1942 wurden zusätzlich in den Oflags sogenannte Offiziersräte gebildet. Diese blieben in ihrem Wehrkreis und wohnten in den wichtigsten Lagern, dadurch war eine Verbindung zwischen den Delegationen und den Lagern und Kommandos besser gewährleistet. Der Versuch mit den Offiziersräten wurde von den deutschen Behörden im August 1944 abgebrochen. Bald danach beendete auch die Mission Scapini ihre Tätigkeit bis auf juristische Dienste.

Zur Mission Scapini wurde unter den Heimgekehrten eine Fragebogenaktion mit dem Ergebnis durchgeführt,

-         dass ihr ein Mangel an Wirksamkeit bescheinigt wurde,

-         dass ein zu offensichtliches Nachgeben gegenüber den deutschen Offizieren beklagt wurde,

-         dass ein Schein der Kollaboration mit ihr verbunden war.

Ein früheres Mitglied eines Offiziersrates schrieb am 22. 7. 1978 dazu: „Ein gewisses Zwielicht schwebte über den Aufgaben und den Tätigkeiten des Offiziersrates, nämlich die Tatsache der politischen Kollaboration mit der Regierung des Marschalls Petain.“

Diese Aussage beruhte unter anderem darauf, dass sich die Delegation Scapini und sehr viele Vertrauensmänner weigerten, ihre Aufgabe weiter wahrzunehmen, nachdem die Vichy-Regierung ins Exil geflohen war. Vorher hatte die Mission Scapini regelmäßige Treffen mit der Regierung in Vichy gehabt und die Aufgabe übernommen, „den Geist der nationalen Revolution unter den Gefangenen zu verbreiten“, indem sie entsprechende Broschüren verteilte.

Inwieweit die im Stammlager XA verteilten Zeitungen diesem Ziel dienten, bedarf noch einer näheren Klärung. Bekannt dagegen ist, dass versucht wurde, „den Geist der nationalen Revolution“ zu verbreiten. Dieses wurde von deutscher Seite gefördert. So war eines der Kriterien für die Vertrauensmännerwahl: das Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Marschall Petain. „Es gibt unter den französischen Gefangenen des Lagers ausgezeichnete Männer, die sich bemühen, für ihre Kameraden und den Marschall, dem man nahezu einmütig folgt, zu arbeiten. Es ist deshalb notwendig, daß die deutschen Behörden die Aktivitäten dieser Männer fördern. Versprechungen in diesem Sinne sind vom deutschen Kommandanten gemacht worden“ (28. 7. 1941).

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[49] Durand, Yves. La Captivité. Paris 1981, S. 315-319. ed.: Fédération Nationale des Combattants Prisonniers de Guerre. Soweit kein anderer Quellenhinweis erfolgt, stützt sich die Darstellung auf diesen Bericht.

[50] Besuchsberichte der Scapini Mission

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