Die Besuchsberichte

Die durch die Delegation des Roten Kreuzes und durch die Mission Scapini entstandenen Besuchsberichte gleichen sich im Aufbau. Zuerst werden Angaben zur Lage und Größe des Stammlagers XA gegeben. Es folgt eine Beschreibung der Situation im Stalag. Anschließend werden einzelne Kommandos beschrieben, wobei diese Beschreibung von der einfachen Nennung des Lagers bis zu Ausführungen von 4 Seiten reichen. Hier wird der erste mir vorliegende Bericht ohne die Kommandodarstellung vorgestellt. Es schließt sich ein Bericht über ein gutes und ein schlechtes an, um den Eindruck der sehr unterschiedlichen Behandlung zu ermöglichen.

Besuch vom 22. 11. 1940

 "Im Lager selbst befinden sich nur ungefähr 1000 Männer, davon ungefähr 500 Franzosen. Diese Zahl ändert sich täglich, da ständig Männer in Arbeitskommandos abkommandiert werden.  

In den Arbeitskommandos:

30000 Franzosen

11800 Belgier

11000 Polen.

Das ergibt eine Gesamtzahl von 51800 Männern.

 

Arbeitskommandos

Eine Zahl von drei- bis viertausend (diese Zahl schwankt ebenfalls von Tag zu Tag) ist über die ganze Provinz Schleswig-Holstein verteilt, von der dänischen Grenze bis zur Elbe, wobei die südliche Grenze eine Linie von Lübeck nach Cuxhaven ist.

80% der Arbeitskommandos sind auf dem Lande, 20% in verschiedenen Industrien.

 

Das Lager

Es liegt mitten in der Stadt Schleswig und war ein altes Kinderheim, ein ziemlich großes rotes Backsteingebäude, umgeben von vier Baracken. Das Lager ist also relativ klein und reicht nur für maximal 1100 Männer aus.

 

Unterkunft

Nur zwei Baracken sind bewohnt, die dritte dient als Werkstatt für Schuster und Schneider, die letzte ist die Küche. Die Baracken sind ein bißchen kleiner als übliche. Da die Gefangenen nicht zahlreich sind, wohnen sie angenehm, sie schlafen in Zwei- oder Dreietagenbetten und haben je zwei Decken zur Verfügung.

Die Baracken sind in zwei Räume unterteilt, und jeder Raum hat einen Ofen. Während des Rundganges der Delegierten waren die Baracken gut geheizt. Die Beleuchtung ist elektrisch. Das Gebäude hat drei Etagen. Den Gefangenen stehen Zimmer verschiedener Größe zur Verfügung. Im allgemeinen wohnen sie zu acht oder zehn zusammen. Auch hier hat man Zweietagenbetten, und jedes Zimmer ist gut geheizt. Die Beleuchtung ist gut.

 

Nahrung

Sie ist absolut dieselbe wie in den anderen Lagern: drei Mahlzeiten mit festgesetzten Rationen. Die Gefangenen haben lediglich eine Kritik, was die Ernährung angeht: sie hätten gerne mehr Brot. (Normale Ration: ein Brot für fünf Männer). Die Küche ist klein. Die Mahlzeiten werden von französischen, belgischen und polnischen Köchen gut zubereitet.

 

Bekleidung

Das Lager ist relativ gut mit Kleidungsstücken ausgerüstet. Es gibt ein großes Magazin. Unterkleidung, Hosen, Uniformröcke und Mäntel sind in genügender Zahl vorhanden.

Andererseits reparieren täglich 70 Schuster 300 Paar Schuhe und 50 Schneider sind im Lager beschäftigt. Allerdings, so betont der Lagerkommandant, tragen sich die Kleidungsstücke schnell ab und alles, was zugeschickt wird, ist immer willkommen. Stark erwünscht sind Schuhe (Stiefel), Socken und Unterkleidung.

Jedes wichtige Arbeitskommando hat kleine Schuster- und Schneiderwerkstätten. Was die kleinen Außenlager betrifft, so werden reparaturbedürftige Schuhe oder Kleider zum Lager geschickt.

 

Kantine

Die Kantine ist mit allen Gebrauchsgegenständen sehr gut ausgerüstet. Es ist jedoch unmöglich, sich dort Nahrungsmittel zu beschaffen. Von Zeit zu Zeit wird dort einmal ein leichtes Bier zum üblichen Preis verkauft.

 

Hygiene

  1. Die Desinfektionsabteilung ist für 500 Reinigungen pro Tag eingerichtet
  2. Duschen: ein oder mehrere Male pro Woche, gemäß den Bedürfnissen (bei Wärme drei- oder viermal pro Woche).
  3. Körpertraining: Jeden Morgen Gymnastik. Den Gefangenen steht ein Sportplatz zur Verfügung. Sonntags spielen sie Fußball etc. Bälle sind genügend vorhanden.

 

Krankenrevier

Es arbeiten dort drei deutsche Ärzte, da kein französischer Arzt im Lager ist. Der Zahnarzt ist ein polnischer Offizier. Das untergeordnete Sanitätspersonal ist belgisch (in der Mehrzahl Flamen) und polnisch.

Die kranken Franzosen wünschten, von Franzosen behandelt zu werden. Die Delegierten teilten dieses dem Kommandanten mit, der einverstanden war, dem Revier einen französischen Sanitäter zuzuteilen. Zwei französische Sanitätsoffiziere sind in zwei großen belgischen Arbeitskommandos beschäftigt. Der sanitäre Zustand ist gut. Bisher sind fünf Männer gestorben (Franzosen), wovon zwei an Tuberkulose litten. (Die Gefangenen waren bereits schwerkrank im Lager angekommen.)

Das Revier selbst ist gut ausgestattet. Die 40 Kranken, die dort behandelt werden, schlafen in Zweietagenbetten. Es melden sich dort täglich vierzig bis fünfzig Kranke zur Untersuchung. Die schweren Fälle werden ans Militärlazarett in Schleswig (Reserve-Lazarett II) weitergeleitet, wo es 600 Betten gibt, wovon 400 von deutschen Soldaten und von Gefangenen besetzt sind.

Die Kranken der Arbeitskommandos werden ins nächstgelegene Krankenhaus eingewiesen. Es sind keinerlei Anzeichen für eine Epidemie vorhanden. Die Schwerverletzten, Schwerkranken und völlig Behinderten haben das Lager mit der Aussicht auf baldige Überführung in die Heimat bereits verlassen.

 

Versorgung geistiger und moralischer Bedürfnisse

  1. Gottesdienst (Religion). Der katholische Gottesdienst findet alle zwei Wochen statt. Es befindet sich ein einziger katholischer Priester im Lager, er ist mit der Organisation der Gottesdienste beauftragt.
  2. Bibliothek. Sie ist in der Nähe der Kantine eingerichtet und enthält ungefähr 300 deutsche und einige französische Bücher. Die Gefangenen stellen regelmäßig eine Liste der gewünschten Bücher auf, welche ihnen von dem deutschen Vorsteher der Bibliothek besorgt werden. Diese Bücher werden von den Gefangenen selbst bezahlt.

Die Zeitung „Trait-d’union“ wird regelmäßig jede Woche ausgeteilt.

  1. Spiele, etc. Es sind genügend vorhanden. Ein Orchester ist nicht zusammengestellt worden, da die Männer nie lange im Lager sind. Demgegenüber ist überall ein Radio.

 

Disziplin

Die zu Bestrafenden werden in einer „Sonderkompanie“ von 200 Mann Stärke gesammelt. Es befinden sich da alle, die versucht hatten zu fliehen und die Undisziplinierten.

Je nach Fall werden Fluchtversuche mit drei bis einundzwanzig Tagen Arrest bestraft; im allgemeinen mit zwei Wochen.

 

Geldmittel

Wie gewöhnlich bekommen die Gefangenen 18.20 RM im Monat, wenn sie auf dem Lande arbeiten. In der Industrie kann die Löhnung nicht 60% dessen überschreiten, was ein deutscher Arbeiter bekommt.

Die Gefangenen in den Arbeitskommandos sind gut genährt.

Die Arbeiter im Lager bekommen 10 RM. Diejenigen, die ohne Beschäftigung sind, erhalten nichts.

 

Briefwechsel

Der Postdienst ist gut eingerichtet. Ungefähr 90 Zensoren sind mit dem Sondieren der Korrespondenz, ihrer Zensur und dem Öffnen der Pakete beschäftigt.

An einem Tage kamen 6 Waggons mit Paketen aus Frankreich und Belgien an. Jeden Tag werden ungefähr 11000 Briefe und Karten im Lager verteilt. Es scheint jedoch, als gäbe es noch eine leichte Verzögerung bei der Verteilung der Post trotz der großen Anzahl von Zensoren. Gewisse Gefangene erhalten jeden Tag einen Brief.

Sie haben die Erlaubnis, im Monat einen Brief oder zwei Karten zu schreiben.

Zu dem Thema Korrespondenz muß eine Bemerkung gemacht werden: die Männer haben nicht ihre Gefangenschaftsmeldekarte nach Genf geschrieben. Nachdem die Delegierten die Gefangenen gefragt hatten, konnten sie sich überzeugen, daß mehrere von ihnen noch keine Nachricht von ihrer Familie erhalten hatten.

Die Delegierten haben die deutschen Behörden gebeten, 25000 Gefangenenkarten zum Stalag zu schicken, damit alle Gefangenen, die von diesem Lager abhängen, die Möglichkeit bekämen, dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes Mitteilung zu machen. Mehrere Gefangene werden so den Kontakt mit ihren Familien wiederfinden.

 

Anliegen

Die drei Vertrauensmänner haben keinerlei Klage vorzubringen. Auf zwei Dinge weisen sie allerdings hin:

1.      Sie möchten gerne mehr Brot haben (obwohl die Rationen die gleichen sind wie in den anderen Lagern),

2.      daß die Korrespondenz besser geregelt wird, da mehrere Gefangene noch ohne Nachricht von ihren Angehörigen sind. (Der Prozentsatz ist höher als in den anderen Lagern.)

 

Allgemeine Feststellungen

Dieses Lager ist gut geführt und organisiert."

 

 

Sielbeck

Bericht über das Kommando 381 vom 16.4. 1944:

„Im Kommando arbeiten 19 Männer in der Landwirtschaft oder im Handwerk. Vertrauensmann ist Dalin René mit der Erkennungsnummer 41725.

Es ist ein gutes Kommando am Rande des Kellersees mit kleinen Zimmern, in denen 4-6 Betten stehen, sehr zufriedenstellend. Keine Beschwerden.“

 

 

Ahrensburg 

Bericht über das Kommando 4 ohne Datum:

„100 Gefangene kamen am 10. August in Ahrensburg, das 20 km von Hamburg entfernt liegt, an. Sie kamen vom Stalag XB, ohne medizinisch untersucht worden zu sein. Sie waren sehr müde und abgemagert durch die Zuteilung von nur einer Bouillon seit Besancon oder Dijon. Unter ihnen befanden sich 30 Sanitäter. 27 sind dem städtischen Dienst für Arbeiten in den Sümpfen zugeteilt, 12 einer Fabrik, wo sie für die passive Verteidigung arbeiten werden, 60 Bauernhöfen und Händlern, die mit Kohle und verschiedenen anderen Dingen handeln. Sie werden im allgemeinen gut ernährt und behandelt. Die Gefangenen konnten erst am 18. September an ihre Familien schreiben trotz aller Schritte, die sie unternommen hatten. Ihre Familien sind erst Anfang November über ihren Zustand unterrichtet worden und darüber, daß sie sich in Deutschland befinden.

Keiner der 30 Sanitäter ist damit beauftragt, sich um die Kranken zu kümmern. Alle haben gearbeitet. In vielen Stalags arbeiten sie dagegen nicht und haben einen Lohn von 1 Mark pro Tag erhalten. 2 anerkannte Sanitäter sind zur Zeit der Repatriierung beim Kommando geblieben, da das Stalag wahrscheinlich annahm, daß sie als Sanitäter unentbehrlich waren. Ungefähr 20 andere sind nicht als Sanitäter anerkannt worden.

 

Die besondere Situation der 27 Männer, die im Sumpf arbeiten.

Die Arbeit bestand darin, Gruben auszuheben, die als Kloakeabflußbecken dienen sollten. Diese 30 x 100 Meter großen Gruben, mit einer Tiefe von 3-4 Metern, wurden ohne Werkzeug in dem Sumpfgebiet ausgehoben. An ein Seil gebunden, haben die Männer riesige Erdklumpen gezogen oder hochgezogen und den Schlamm auf den schon ausgetrockneten Boden gebracht. Die meisten Männer standen mit ihren abgetragenen Schuhen mehrere Monate lang mit den Füßen im Wasser. Am Morgen waren ihre Schuhe genauso naß wie am Abend vorher. Im November gab man ihnen endlich Gummistiefel. Während die einen Wasser pumpten, blieben die anderen im Sumpf stehen und beluden Schubkarren mit Schlamm und Dreck, die andere Gefangene auf kleinen wackeligen Bretterstegen davonkarrten.

Die Arbeit wurde mitten im Winter bei jedem Wetter ausgeführt. Wenn man auf einem weniger sumpfigen Terrain angekommen war, konnten die Loren abgestellt werden. Dieser Arbeitsgruppe im Sumpf waren mehrere alte Gefangene und Berufssoldaten, die freiwillig arbeiteten, zugeteilt worden. Ihnen traute man zweifellos keine andere Arbeit zu. Außerdem waren unter ihnen mehrere Unteroffiziere, die man nicht gefragt hatte, ob sie freiwillig arbeiten wollten, und 7 oder 8 Sanitäter.

Die Arbeit war äußerst schwer, der Wachhabende forderte hohe Leistungen. Er war kein schlechter Mensch, aber oft überließ er, bevor er wegging, die Überwachung zwei Zivilisten, Schachtmeistern, die die Gefangenen ihren Haß spüren ließen. Unter ihrer Aufsicht war es untersagt, nur einen einzigen Augenblick zu verschnaufen. Wenn die Gefangenen austreten mußten, nahmen sie ihre Uhr, um die verlorene Zeit zu messen. Einige Männer, die körperliche Arbeit nicht gewohnt waren, mußten schlimmste Flüche, schlimmste Drohungen und die schwersten Arbeiten hinnehmen, wobei sie ständig ausspioniert und verfolgt wurden. Mehrere erhielten Schläge.

Es war geplant, daß die Arbeitsgruppe nach den 3 Abflußbecken die Wassergräben des Schlosses reinigen sollte. Es waren enorme Wassergräben von 20 m Breite und ungefähr 500 m Länge. Die Gefangenen wußten sehr genau, daß man ihnen mühsame Arbeit auferlegen konnte, aber die Aussicht, ihre Gefangenschaft mit den Füßen im Wasser zu verbringen und dabei von Rohlingen herumkommandiert zu werden, demoralisierte sie völlig. Einige erleiden Nervenzusammenbrüche und fordern zumindest eins: abgelöst zu werden, so daß nicht immer dieselben den schweren Prüfungen unterworfen sind, welche bezeichnend sind für Repressalienlager mit einem Imbiß und zwei sehr dünnen Suppen im Magen.“

 

Dem Bericht war eine Notiz angeheftet worden.

„Dieser Bericht, dessen Autor leicht zu identifizieren ist, soll den deutschen Behörden nicht zugänglich gemacht werden. Er hat zum Ziel, zu informieren und gegebenenfalls eine Besichtigung zu erleichtern und (das ist der größte Wunsch des Autors) von Zeit zu Zeit die Kameraden ablösen zu lassen, die im Sumpf eine Arbeit ausführen, die für Strafkompanien bezeichnend wäre.“

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