1. Die Aktivitäten der Deutschen Werke Werft (DWK)[2]

Im Juli des Jahres 1941 wandte sich die DWK an den Landrat des Kreises Rendsburg und bat um den Nachweis von zwei Standorten für die Errichtung von Arbeiterwohnlagern: "Die Läger sollen in Erweiterung des in Kiel-Friedrichsort gelegenen reichseigenen Lagers Schurskamp als reichseigene Läger erstellt werden." Aus "luftschutzmässigen Gründen" sahen die Planungen den Bau der neuen Wohnlager nicht in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte vor, sondern außerhalb des Kieler Stadtbezirkes. Die DWK hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Erfahrungen im Aufbau derartiger Lager gesammelt: In demselben Schreiben an den Landrat wurde erläuternd mitgeteilt, dass "für unser Werk Kiel, ausserhalb des Kieler Stadtbezirkes z.Zt. 7 Läger erstellt werden, wovon das Lager Wattenbek im Bereich des Landratsamtes Rendsburg liegt." Mit anderen Worten: Die DWK plante im Jahre 1941 die Errichtung von 9 Arbeiterwohnlagern außerhalb Kiels. Die Vertreter der reichseigenen Werft DWK nahmen gegenüber dem Landrat Peters eine ungewöhnlich fordernde Position ein: "In Anbetracht der Dringlichkeit der Angelegenheit dürfen wir um umgehende Erledigung bitten."

Die beiden geplanten Lager im Nord-Westen Kiels

Inwieweit der Bau der Lager für das DWK-Werk in Friedrichsort tatsächlich erfolgt ist und um welche Lager es sich gehandelt hat, ist zur Zeit noch nicht hinreichend geklärt. Die Vertreter der DWK verfuhren zweigleisig und wandten sich auch an den Landrat des Kreises Eckernförde: "Da die Verkehrsverhältnisse aus dem Kreise Rendsburg zu unserem Werk Friedrichsort ausserordentlich ungünstig sind, erscheint es nach Prüfung der Verkehrsverhältnisse zweckmässiger, die beiden für unser Werk Friedrichsort vorgesehenen Arbeiterläger möglichst nahe an Friedrichsort heran, in das Gebiet des Landkreises Eckernförde zu legen, obgleich auch hier verkehrsmässig nicht unerhebliche Schwierigkeiten vorliegen."

Gleichzeitig wurde aber auch betont, wie kooperativ der Landrat des Kreises Rendsburg sich bisher in dieser Angelegenheit verhalten hatte. Landrat Peters habe erklärt: "Obgleich im Kreise Rendsburg z.Zt. Arbeiterwohnläger und Holzhäuser zur Unterbringung von mehreren tausend Arbeitern und Volksgenossen, die durch Luftangriffe wohnungslos geworden sind, erstellt werden", sei man durchaus bereit, weitere Standorte im Kreisgebiet zu vermitteln. Letztendlich scheint sich die DWK aber für den Kreis Eckernförde entschieden zu haben. Landrat Peters schrieb jedenfalls am 24.Juli 1941 an den Regierungspräsidenten in Schleswig, vor diesem Hintergrund "dürfte von der Einreichung von Vorschlägen für eine Unterbringung im Kreise Rendsburg abzusehen sein".

Die sieben geplanten Lager im Süden und Osten Kiels

Die DWK teilte dem Regierungspräsidenten am 1.Juli 1941 in Bezug auf die "Errichtung von Wohnlägern zur Unterbringung von Rüstungsarbeitern" mit, dass nunmehr "endgültig folgende Lagerstandorte vorgesehen" seien: Raisdorf, Flintbek, Boksee, Wankendorf und Klein Barkau im Kreis Plön und Wattenbek im Kreis Rendsburg.

Der Landrat Peters in Rendsburg wurde auch um eine Stellungnahme gebeten. Er schrieb dem Regierungspräsidenten am 23.Juli: "Hinsichtlich des Wohnlagers in Wattenbek ist nichts mehr zu klären." Die Bauarbeiten begannen und wurden offensichtlich von der Schrobdorffschen Bauverwaltungsgesellschaft in Berlin betreut. Darauf lassen jedenfalls Eintragungen im Melderegister der Gemeinde Wattenbek für das Jahr 1941 schließen: Es werden 15 Handwerker dieser Firma genannt, die für mehrere Wochen im Gasthaus von Friedrich Lüthje untergekommen waren. Gegen Ende des Jahres sind die ersten 150 Spanier in die 11 Wohnbaracken eingezogen. Sie waren aufgrund eines staatlichen Arbeitsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und Spanien als Rüstungsarbeiter nach Deutschland gekommen. Wenn man davon ausgeht, dass in jeder Wohnbaracke annähernd 50 Arbeiter untergebracht werden konnten, so ergibt sich für das DWK-Lager in Wattenbek eine Belegungskapazität von 550 Personen.

Die in Wattenbek tätigen Bauhandwerker sind laut Melderegister "nach Flintbek verzogen" und es ist somit davon auszugehen, dass die Berliner Firma auch den Aufbau des DWK-Lagers in Flintbek übernommen hat. Über das Flintbeker Lager, das wohl im Frühjahr 1942 bezugsfertig war, sind bisher nur sehr wenige Dokumente bekannt. Es gibt aber Berichte von ehemaligen Insassen des Lagers, so z.B. von dem Holländer Petrus van Eekelen: "Das Wohnlager bestand aus einer großen Anzahl Holzbaracken. Jede Baracke hatte drei Kammern, und in jeder Kammer "wohnten" 16 Männer in sogenannten Stapelbetten." [3] Er konnte sich auch noch sehr genau an seine Kammer erinnern und hat eine entsprechende Zeichnung mit allen Einrichtungsgegenständen angefertigt.[4] Insgesamt wird bisher davon ausgegangen, dass das DWK-Lager in Flintbek eine Belegungskapazität von 350 Personen hatte. Es waren hier hauptsächlich Niederländer untergebracht.[5]

Über das Lager in Boksee berichtete die DWK im September 1942 dem Landrat des Kreises Plön, dass es "sich zur Zeit in der Fertigstellung" befand und "ab 1.Oktober bezogen werden" sollte. Neben dem Lagerpersonal war an die Unterbringung von rund 500 ausländischen Arbeitern gedacht worden. Genau wie in Wattenbek gab es 11 Wohnbaracken und 1 Wirtschaftsbaracke, in der sich auch eine Kantine befand. In der Kantine durfte der Ausschank von Flaschenbier und alkoholfreien Getränken "nur an die im Wohnlager Boksee untergebrachten (ausländischen) Gefolgschaftsmitglieder erfolgen". Der Landrat hatte dies dem Regierungspräsidenten im Januar 1943 für die Genehmigung einer entsprechenden Schankkonzession zugesagt. Er verfolgte damit aber auch einen bestimmten Zweck: "Es ist erwünscht, die Ausländer soviel wie möglich von den deutschen Volksgenossen fern zu halten."[6]

Ob die DWK - wie geplant - auch in Klein Barkau und in Wankendorf derartige Wohnlager errichten ließ, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls gibt es derzeit noch keinerlei Hinweise darauf. Dafür intensivierte die Kieler Werft ihre Bautätigkeit am südöstlichen Stadtrand, in Raisdorf, an gleich 3 Standorten: In einem Schreiben der DWK an den Regierungspräsidenten vom 26.Mai 1941 wurde die Übernahme einer RAD-Unterkunft im Schwentinetal vermeldet. Diese - nahe bei der Villa Fernsicht gelegene - Baracke war der DWK vom Reichsarbeitsdienst über das Oberkommando der Kriegsmarine zur Verfügung gestellt worden und sollte zur Unterbringung "von 200 italienischen Arbeitern" dienen. Man war sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht sicher, "wann mit der Zuweisung der italienischen Arbeiter gerechnet werden kann".[7] Diese Ungewissheit war ein paar Tage später am 10.Juni vorbei: Der erste Transport italienischer Arbeiter war im Barackenlager Schwentinetal eingetroffen. Es handelte sich ausschließlich um "freiwillige" Arbeitskräfte, wie der Chronist der DWK im Jahre 1955 betonte.[8]

Am 30.Januar 1942 beantragte die DWK beim Landrat in Plön eine Schankkonzession für den Kantinenbetrieb im firmeneigenen "Wohnlager Raisdorf II am Rosenfelder Weg, welches sich z.Z. in der Fertigstellung befindet."[9] Hier sollten "ausser dem Lagerpersonal 275 ausländische Arbeiter untergebracht" werden. Der Raisdorfer Bürgermeister erläuterte dem Amtsvorsteher in Klausdorf am 11. Februar die Situation noch einmal: "Es handelt sich um das Lager an der Strasse nach Rosenfeld. Eine Kantine ist für das Lager notwendig, da das Gasthaus Schlüter für die Kriegszeit geschlossen und in erreichbarer Nähe keine Gelegenheit zum Einkauf von Getränken etc. vorhanden ist." Der Amtsvorsteher sah ebenfalls die Dringlichkeit der Kantinengenehmigung und gab wiederum dem Landrat am 21.Februar weitere Argumentationshilfe: "Das Lager liegt an der Straße nach Rosenfeld. Die dort liegende Gastwirtschaft "Rosenheim" ist z.Zt. wegen Einberufung des Ehemannes der Inhaberin und wegen Benutzung des Saales als Lagerraum für Militärgut geschlossen." Aus einem weiteren Schreiben des Bürgermeisters ist auch die genaue Grundbuchbezeichnung des Lagers bekannt: "Raisdorf, Band II, Blatt 3, Kartenblatt 4, Parzelle 33/11".

Es ist nicht auszuschließen, dass das Lager Raisdorf II aufgrund seiner relativ geringen Belegungskapazität von 275 Personen identisch ist mit dem ebenfalls von der DWK betriebenen Lager Karkkamp in Raisdorf. Das Lager Karkkamp bestand nur aus 5 Wohnbaracken. Dies geht auch aus einer Grundrisszeichnung vom 15.Mai 1946 für die Genehmigung eines Kantinenbetriebes im (Flüchtlings-) Lager hervor.[10] Wenn jede Baracke aus 3 Stuben bestand, in denen jeweils 16-18 Personen untergebracht waren, dann ergibt sich annähernd die gleiche Belegungskapazität wie für Raisdorf II. Auf jeden Fall ist die Wirtschaftsbaracke des Lagers Karkkamp nach dem Kriege zu einer Kirche umfunktioniert worden. Es wurde sogar ein Glockenturm angebaut. Das Gelände Karkkamp befindet sich gegenüber dem heutigen Kirchenzentrum.[11]

Vom 16.November 1942 stammt eine Grundrisszeichnung zum "Ostarbeiter-Lager Rosensee" der Deutschen Werke Werft in Raisdorf. Laut Zeichnung lag es in 30 m Entfernung am Ufer der Schwentine und war mit einer 2 m hohen Einfriedigung umgeben. Der Antrag auf Gewährung einer Schankkonzession für den Kantinenbetrieb "im Wohnlager Rosensee in Raisdorf" wurde aber erst am 2.Oktober 1943 gestellt. In demselben Schreiben der DWK an den Landrat in Plön wird weiterhin ausgesagt, dass das Lager sich z.Zt. noch in der Fertigstellung befinde und rund 500 ausländischen Arbeitern als Unterkunft dienen solle. Es ist also davon auszugehen, dass das Lager Rosensee zwar schon 1942 konkret geplant aber erst 1943 errichtet worden ist. Auf jeden Fall sollte die lagerinterne Kantine auch hier dazu dienen, "die Ausländer soviel wie möglich von den deutschen Volksgenossen ferzuhalten." Die Schankkonzession sollte nach Ansicht des Landrats an die Bedingung geknüpft sein, Getränke nur an die "ausländischen Gefolgschaftsmitglieder" auszugeben.[12]

Fazit

Wenn die Lager Raisdorf II und Lager Karkkamp nicht identisch sind, dann hat die Deutsche Werke Werft neben dem Barackenlager Schwentinetal und dem "Ostarbeiterlager" Rosensee sogar vier derartige Objekte in der Nachbargemeinde Raisdorf betrieben. Nimmt man die Wohnlager in Wattenbek, Flintbek und Boksee hinzu, so ergeben sich genau die sieben im Süden und Osten von Kiel geplanten und fertiggestellten Unterkünfte für die zahlreichen Ausländer, die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges von der Deutschen Werke Werft angefordert wurden und in Kiel oder Friedrichsort in der Rüstungsproduktion Zwangsarbeit leisten mussten.

2. Die Aktivitäten der Kriegsmarinewerft Kiel (KMW)


[2] Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf entsprechende Schriftwechsel, die in: LAS Abt.320 RD ungeordnet, Bd.483, vorl. Nr.5 überliefert sind. Den Hinweis auf diese Akte verdanke ich freundlicher Weise Rolf Schwarz (Rendsburg), der diesen Vorgang bereits 1988 im Landesarchiv in Schleswig entdeckt hat.

[3] Peter Meyer-Strüvy: Niederländische Zwangsarbeiter in Kiel und Lübeck, in: Informationen zur Schleswig-holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 25 (1994), S.5.

[4] Peter Meyer-Strüvy: Niederländische Zwangsarbeiter in Kiel, in: Informationen zur Schleswig-holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 28 (1995), S.44.

[5] Verschleppt zur Sklavenarbeit, hrsg. von Gerhard Hoch und Rolf Schwarz, Nützen und Alveslohe 1985, S.181.

[6] LAS Abt. 320 Plön, Nr.3012

[7] Wie Anmerkung 2

[8] Otto K.W. Neuburg: Menschenwerk im Mahlstrom der Macht - Die hundertjährige Geschichte der Kaiserlichen Werft Kiel und der Deutschen Werke Kiel A.G., Kiel 1955, S.387.

[9] LAS Abt. 320 Plön, Nr.3223, gilt auch für die nachfolgenden Zitate.

[10] LAS Abt. 320 Plön, Nr.3224 und "Verschleppt zur Sklavenarbeit" (wie Anm.5), S.181.

[11] Gemeindebrief der Kirchengemeinde St.Martin in Raisdorf, Pfingsten 2000, S.13f. und Raisdorf - Eine Chronik mit Bildern aus Vergangenheit und Gegenwart, Hamburg 1988, S.59ff..

[12] Alle Zitate stammen aus dem in: LAS Abt. 320 Plön, Nr.3223 überlieferten Schriftwechsel.