Die historische Sachlage

Der Sturz Mussolinis im Juli 1943 und die Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten im September änderten die Situation der Italiener schlagartig.[4] Den noch im Reich befindlichen 120.000 italienischen Arbeitern wurde die Heimkehr untersagt. Nach dem Ausscheiden Italiens aus dem Bündnis mit Deutschland entwaffneten deutsche Einheiten das italienische Heer. Die italienischen Soldaten wurden gedrängt, auf deutscher Seite weiterzukämpfen.

Die ersten Anordnungen des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) sahen Folgendes vor: "Italienische Soldaten, die sich nicht zur Fortführung des Kampfes an deutscher Seite zur Verfügung stellen, sind zu entwaffnen und gelten als Kriegsgefangene."[5] Die meisten von ihnen ahnten, dass sie an der Ostfront zum Einsatz kommen würden und verweigerten sich deshalb. Wer sich nicht bereiterklärte, auf deutscher Seite weiterzukämpfen, wurde nach Deutschland transportiert und in Kriegsgefangenenlager eingeliefert. Innerhalb weniger Wochen kamen aus diesem Grunde schätzungsweise 725.000 italienische Soldaten nach Deutschland.

 

[Foto: Der abgebildete Soldat war zeitweise im Erweiterten Krankenrevier Heidkaten (südwestlich von Kaltenkirchen) untergebracht. (Hoch/Schwarz 1988)]

 

Ein am 20. September 1943 verfasster Führerbefehl ordnete den Statuswechsel der Kriegsgefangenen in Militärinternierte an: "Auf Befehl des Führers sind die italienischen Kriegsgefangenen ab sofort nicht als Kriegsgefangene, sondern als 'italienische Militärinternierte' zu bezeichnen. In dem Bezugsbefehl ist demgemäß das Wort 'Kriegsgefangene' durch die vorstehende Bezeichnung zu ersetzen."[6] Mit dem Begriff "IMI" war eine Statusbezeichnung gefunden worden, die sowohl den Interessen von Mussolinis "Repubblica Sociale Italiana" (RSI)[7] als auch denen der Deutschen entgegenkam. Die Absicht des Führerbefehls war es sicherlich nicht allein, die IMI der Aufsicht des Internationalen Roten Kreuzes zu entziehen. Das neu gestaltete italienische Bündnis[8] aufrechtzuerhalten, wird ebenfalls nicht der entscheidende Grund gewesen sein. Vielmehr war mit der Umbenennung - jenseits jedweder politischen Überlegungen - unzweifelhaft auch die Absicht verbunden, IMI arbeitsmäßig einzusetzen. Das bedeutete im Herbst 1943 vor allem den Einsatz in der Rüstungsindustrie und in anderen Produktionsbereichen dieses Sektors.[9]

Bereits im Oktober 1943 trafen in Schleswig-Holstein die ersten IMI zur Arbeit in der Rüstungsindustrie ein.[10] Die Situation in den einzelnen Lagern war für die meisten von ihnen in physischer und psychischer Hinsicht unerträglich - physisch, weil Kälte, Hunger und schlechte Behandlung die Regel waren; psychisch, weil die Nationalsozialisten davon ausgingen, dass die Internierten durch schlechte Behandlung ihren "Verrat" bereuen würden.[11]

Anfang 1944 wurde die Ernährung bei den Italienern reichsweit konsequent auf "Leistungsernährung" umgestellt. Das OKW, Abteilung Kriegsgefangene, ordnete am 28. Februar 1944 an: "Nur vollbefriedigende Leistung gibt Anrecht auf volle Verpflegungssätze. Verpflegung ist daher grundsätzlich nach Leistung abzustufen, bei unbefriedigender Leistung für gesamte Arbeitseinheit ohne Rücksicht auf einzelne Willige zu kürzen. [...] Chef OKW wird jeden Vorgesetzten zur Rechenschaft ziehen, der bei Klagen über geringe Arbeitsleistung und Zucht der ital. Mil. Int. nicht scharf durchgreift."[12] Da auch die "Leistungsernährung" als Strafmaßnahme durchgeführt wurde, befanden sich bereits nach wenigen Wochen viele der IMI in einem sehr schlechten Gesundheitszustand. Von diesem Zeitpunkt an lagen der Krankenstand und die Todesraten der IMI zusammen mit denen der sowjetischen Gefangenen unter allen Gruppen von Kriegsgefangenen am höchsten. Die Arbeitsleistung der Italiener war infolgedessen schlecht, weshalb die Arbeitsbehörden und Betriebe schon bald auf eine Verbesserung der Ernährungssituation der Italiener drängten.

Ab Sommer 1944 nahmen die Bestrebungen zu, IMI in zivile Arbeitsverhältnisse zu überführen. Hierdurch erhoffte man sich u.a. eine Verbesserung der Behandlung und Verpflegung. Im Juli 1944 stimmte Hitler dieser Maßnahme zu, und die IMI wurden nach dem Vorbild der polnischen Gefangenen von 1940 aus dem Kriegsgefangenenstatus entlassen. In einem Schreiben des OKW heißt es hierzu: "2.) Jeder Internierte hat vor seiner Überführung eine Erklärung abzugeben, daß er bereit ist in Deutschland zu den für die in Italien angeworbenen zivilen Arbeitskräfte geltenden Bedingungen bis zum Kriegsende zu arbeiten. Er erhält alsdann seinen Entlassungsschein. Weigert er sich, diese Erklärung abzugeben, bleibt er bis auf weiteres interniert. 3.) Die in das zivile Arbeitsverhältnis Überführten behalten ihre bisherige Bekleidung; sämtliche militärischen Abzeichen sind vor der Entlassung zu entfernen."[13]

Mit der Auflösung der Betreuungskompetenzen der Wehrmacht beabsichtigte man einerseits die Leistungsbereitschaft der IMI zu steigern, andererseits wollte man eine möglichst große Anzahl von Bewachungskräften und Lagerpersonal für die Verteidigung des "Heimatkriegsgebietes" freistellen.[14] Von nun an galten für die IMI die Behandlungs- und Strafvorschriften für italienische Arbeiter; ebenso deren Ernährungssätze. An ihrer Lage änderte sich jedoch durch die Überführung in den Zivilarbeiterstatus wenig; bis Kriegsende blieben sie eine der am schlechtesten behandelten und ernährten Arbeitergruppen.

Was bisher über die IMI gesagt wurde, galt für die italienischen Mannschaften, nicht aber für die Offiziere, die per Erlass eine Sonderstellung hatten. Sie waren zunächst in Offizierslagern (Oflags) untergebracht und von der Zwangsarbeit ausgenommen. Ein wichtiger Grund, sie nicht zur Zwangsarbeit heranzuziehen, war sicherlich folgender: Die Offiziere sollten motiviert werden, in die Armee der RSI einzutreten. Was bei den Mannschaften fast vollständig fehlgeschlagen war, gelang bei den Offizieren etwas besser. Schätzungsweise traten 30 % der Offiziere während ihrer Internierungshaft der Armee der RSI bei.[15] Erst am 31.Januar 1945 entschieden die deutschen Militärbehörden, alle Offiziere, die noch in den Lagern waren - ungefähr 15.000 -, als Zivilarbeiter einzustufen.

Für die im deutschen Machtbereich umgekommenen italienischen Militärinternierten zuverlässige Zahlen zu bestimmen, ist kaum möglich, da sich weder deren Gesamtzahl verlässlich festlegen lässt, noch präzise Zugangs- und Abgangsstatistiken existieren. Schätzungsweise 40.000 bis 50.000 Militärinternierte sind in der Gefangenschaft umgekommen.[16] Das war die höchste Todesrate unter allen westlichen Kriegsgefangenen. Diese hohe Sterblichkeit war vor allem die Folge von Hunger, Kälte und dem beinahe völligen Fehlen von medizinischer Versorgung. Die in Norddeutschland verstorbenen IMI sind auf der Italienischen Ehrenanlage des Hamburger Friedhofs Öjendorf beerdigt.

 

 


[4] Als Angehörige einer verbündeten Nation besaßen die Italiener anfänglich einen besonderen Rechtsstatus. Waren die italienischen Zivilarbeiter bis dahin ihren deutschen Kollegen gleichgestellt, änderte sich dieses nach dem Sturz Mussolinis.

[5] Aus Cajani 1991, S.295.

[6] Befehl des OKW vom 20.9.1943, Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, NOKW-916.

[7] Mussolini hatte unter deutscher Aufsicht am Gardasee einen Ministaat - die Repubblica Sociale Italiana (RSI) - gegründet; vgl. dazu Cajani 1991, S.297.

[8] Hier ist die RSI gemeint.

[9] Die Genfer Konvention erlaubte nicht, Kriegsgefangene in der Rüstungsproduktion oder angeschlossenen Sektoren einzusetzen.

[10] Helmut Grieser, Materialien zur Rüstungswirtschaft Schleswig-Holsteins im Dritten Reich. Kiel 1987, S.139.

[11] Ralf Lang, Italienische "Fremdarbeiter" im nationalsozialistischen Deutschland 1937-1945. Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York u.a. 1996, S.89.

[12] Befehl OKW, Chef Kgf., vom 28.2.1944, BA R 3/1820, Bl.114.

[13] Befehl OKW vom 3.8.1944, Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, NOKW-982. Nach der Einrichtung des Stiftungsfonds "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sollen ehemalige Zwangsarbeiter eine Entschädigung erhalten. Die italienische Organisation IOM stellte ebenfalls Ansprüche für IMI, die Zwangsarbeit im Deutschen Reich leisten mussten. Im Auftrag der Bundesregierung fertigte der Völkerrechtler Christian Tomuschat ein Gutachten an. Er kam zu dem Schluss, dass die IMI nicht leistungsberechtigt sind. Laut Tomuschat werden die IMI als Kriegsgefangene eingestuft, die unter dem Schutz der Genfer Konvention gestanden hätten und somit nicht als Opfer gelten. Im Gegensatz dazu haben ehemalige polnische Kriegsgefangene, die 1942 in den Zivilarbeiterstatus überführt worden sind, einen Anspruch auf Leistungen aus dem Stiftungsfonds. Der Historiker Ulrich Herbert kritisierte das Gutachten in einer Stellungnahme und widersprach der Auffassung Tomuschats. Er verwies darauf, dass die IMI ab Juli 1944 nicht mehr als Kriegsgefangene, sondern als zivile Zwangsarbeiter registriert worden waren. Und somit hätten sie durchaus einen Anspruch auf eine Entschädigung. Vgl. dazu: Ulrich Herbert: Stellungnahme zur Frage der Entschädigung der Italienischen Militärinternierten, die in den Status von zivilen Zwangsarbeitern überführt wurden, Freiburg, Oktober 2001.

[14] Gabriele Hammermann, Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich 1943-1945, in: Mitteilungsblatt des IGA, Heft 21/98, S.204.

[15] Lang 1996, S.98.

[16] Cajani 1991, S.308.