Der Friedhof Öjendorf

1957/58 wurden auf dem Hamburger Friedhof Öjendorf 5.858 Italiener beigesetzt, die in den Jahren 1943 bis 1945 in 790 Orten in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Bremen[17] verstorben waren. Auf Grund des deutsch-italienischen Kriegsgräberabkommens vom 22.Dezember 1955 wurde die Italienische Ehrenanlage errichtet.

5.684 der hier bestatteten Italiener sind namentlich bekannt, 174 von ihnen unbekannt. Es gibt nur noch wenige Unterlagen, die Informationen über die hier Bestatteten enthalten. Auf eine Anfrage beim italienischen Generalkonsulat in Hamburg hin wurde der Verfasserin mitgeteilt, dass vor einigen Jahren aus Platzmangel beschlossen wurde, sämtliche Akten über die Italienische Ehrenanlage zu vernichten. Lediglich auf dem Friedhof Öjendorf existiert ein Buch, in dem die Namen, Geburts- und Todesdaten, Sterbeorte und die ersten Bestattungsorte eingetragen sind. Das italienische Verteidigungsministerium besitzt ebenfalls eine Liste, in der alle Verstorbenen verzeichnet sind; sie wird derzeit überarbeitet und stand der Verfasserin leider nicht zur Verfügung.

In der Bundesrepublik gibt es insgesamt vier Ehrenanlagen, auf denen Italiener bestattet sind. Sie befinden sich in Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main und München.[18] Die Anlage auf dem Hamburger Friedhof Öjendorf ist als Sechseck gestaltet. Sie besteht aus fünf großen, trapezförmigen Grabsektoren, die durch Grünstreifen voneinander getrennt sind. Das sechste Trapez, das von Form und Ausmaß her den Grabsektoren gleicht, stellt den Eingangsbereich dar. In diesem Bereich befinden sich Blumenbeete und es führt ein gerader Weg vom Eingang direkt zum zentralen Bereich der Anlage. Hier befindet sich das Denkmal, das aus einem Kreuz und einem Altar besteht. Einmal im Jahr - jeweils am ersten Sonntag im November - findet auf der Ehrenanlage eine Gedenkfeier statt. Ein Priester liest die Messe, und der italienische Generalkonsul spricht zu den Anwesenden und legt einen Kranz nieder.

 

         

[Foto links: Übersichtplan zur Grabanlage der Italienischen Militärinternierten auf dem Friedhof Öjendorf ; Foto rechts: Ehrenanlage mit Altar auf dem Friedhof Öjendorf (Privatarchiv Dressler)]

Innerhalb der fünf Grabsektoren sind die 5.858 Gräber angeordnet. Jedes Grab ist mit einem Granitstein versehen, auf dem der Name und der jeweilige Dienstgrad bzw. "Lav. Civ." (Zivilist) eingemeißelt sind. Die 174 Grabsteine der Unbekannten tragen die Inschrift "ignoto" (unbekannt). Auf wenigen Gräbern stehen derzeit Blumen oder sind Fotos angebracht. Selten kommen Verwandte aus Italien, um die Grabstellen ihrer Familienangehörigen zu besuchen.

 

[Foto: Gräber der Italienischen Militärinternierten auf dem Friedhof Öjendorf (Privatarchiv Dressler)]

Aus Schleswig-Holstein sind 222 Italiener aus 27 Orten in der Anlage beigesetzt. Das ist ein Anteil von 3,8 % aller Verstorbenen, die hier beerdigt wurden. Ein beträchtlicher Teil von ihnen verstarb in den großen Lagern Sandbostel und Fullen.[19] Anfangs wurden alle italienischen Kriegsgefangenen in Zwischenlagern untergebracht und von dort aus den Stammlagern (Stalag) zugeführt. Diese Stalags - zu denen auch die Lager Sandbostel und Fullen zählen - waren im Sinne der Wehrmacht Kriegsgefangenen-Mannschaftslager, d.h. Lager für Unteroffiziere und Mannschaften, die eigentlich eine Obergrenze von 10.000 Häftlingen nicht überschreiten sollten. Die große Anzahl der kurzfristig ins Deutsche Reich gebrachten italienischen Kriegsgefangenen verursachte erhebliche Versorgungs- und Unterbringungsprobleme. Dies erklärt auch die hohen Todesraten in den Lagern Sandbostel und Fullen.

Von September 1942 bis 1945 starben im Lager Fullen 872 Personen, allein im Jahre 1944 verzeichnete das Standesamt Meppen 404 Tote. Von den ursprünglich auf dem Friedhof Groß Fullen bestatten 751 IMI, die zum größten Teil an epidemischer Lungentuberkulose verstarben, wurden 29 im Sommer 1955 exhumiert und nach Italien überführt. Im April 1958 erfolgte die Exhumierung der übrigen Italiener, 674 wurden auf den italienischen Ehrenfriedhof in Hamburger Öjendorf umgebettet, 48 nach Italien gebracht.[20] Im Stalag Sandbostel verstarben 115 IMI, deren sterbliche Überreste 1957/58 in Hamburg Öjendorf beerdigt worden sind.[21] Die hier bestatteten Italiener verstarben in folgenden Orten Schleswig-Holsteins:

 

ZAHLENANGABEN IN TABELLARISCHER FORM

 

Beim Betrachten der Tabelle fällt auf, dass die meisten Italiener in Kiel, Lübeck, Heidkaten[22], Travemünde und Geesthacht verstorben sind. Insgesamt sind in der Ehrenanlage 144 Soldaten[23] - unter ihnen ein unbekannter Soldat - und 78 Zivilisten aus Schleswig-Holstein begraben. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei mindestens 139 der insgesamt 144 Soldaten um IMI gehandelt hat, denn nur fünf der Soldaten sind vor September 1943 verstorben, alle anderen in den Jahren 1944 bis 1945. Bei den hier bestatteten Zivilisten aus Schleswig-Holstein handelt es sich um 76 Männer und eine Frau. Die Todesursachen waren fast immer die gleichen: allgemeine Schwäche und Infektionskrankheiten, oder sie kamen bei Bombenangriffen ums Leben.

Fast alle in Schleswig-Holstein verstorbenen Italiener sind im Sektor 5 beerdigt, nur fünf liegen in anderen Sektoren. Bei der Durchsicht des Beerdigungsbuches auf dem Friedhof Öjendorf fällt auf, dass man vermutlich in der Anfangsphase der Umbettungen versucht hat, für jedes Bundesland einen eigenen Sektor anzulegen und die Verstorbenen dort zu bestatten.[24]

Im Oktober 2002 wurden 20 Italiener exhumiert und von ihren Angehörigen in die Heimat überführt. Dass erst so spät - d.h. 57 Jahre nach Ende des Krieges - Italiener von ihren Angehörigen in die Heimat überführt wurden, liegt an einem Gesetz von 1951. Es besagt, dass die sterblichen Überreste italienischer Soldaten, sobald sie einmal vom Generalkommissar zur Ehrung der Gefallenen (Commissario generale per le onoranze ai Caduti) begraben worden waren, nicht mehr den Verwandten überlassen werden konnten ("Le salme definitivamente sistemate a cura del Commissario generale non possono essere più concesse ai congiunti.").[25]

 

[Foto: Exhumierungen im Oktober 2002 (Privatarchiv Dressler) ]

Dieser Gesetzespassus wurde erst 1999 wie folgt abgeändert: "Le salme definitivamente sistemate a cura del Commissario generale possono essere concesse ai congiunti su richiesta ed a spese degli interessati".[26] Das bedeutet: Seither können die sterblichen Überreste auf Antrag der Verwandten und zu deren Kosten in die Heimat verbracht werden. Das ist inzwischen auch im Fall der Maria Maddalena Truppa geschehen, über den im Folgenden berichtet wird.

 

  • Das Leben der Maria Maddalena Truppa

 


[17] In der Broschüre des italienischen Verteidigungsministeriums werden Bremen und Hamburg nicht namentlich erwähnt, man spricht hier von Norddeutschland. Die in der Broschüre angegebenen Zahlen weichen minimal von den Öjendorfer Angaben ab.

[18] Auf dem Berliner Friedhof in Zehlendorf sind 1.177 Italiener seit 1952 begraben. In Frankfurt auf dem Friedhof Westhausen sind auf der 1957 errichteten Anlage 4.788 Italiener bestattet. Und in München sind über 3.200 Italiener auf der Anlage beerdigt. Auf allen Anlagen besagen die Inschriften der Grabsteine, dass die Verstorbenen Soldaten waren, doch die meisten verstarben im Status eines IMI.

[19] Sandbostel liegt im Kreis Rotenburg/Wümme (Niedersachsen), hier befand sich das ehemalige Kriegsgefangenenlager "Stalag XB Sandbostel". Das Lager Fullen (Niedersachsen) gehörte zum sog. "Emslandlager". Ab 1942 war es dem Stalag VI C Bathorn angegliedert. Von Herbst 1944 bis März 1945 war Fullen ein Unterkommando des Außenkommandos Versen (des KZ Neuengamme).

[20] Informationen des Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager.

[21] Dokumentationsstätte Sandbostel e.V., Liste der auf dem Friedhof Sandbostel I der Gemeinde Sandbostel bestatteten Toten nichtreichsdeutscher Staatsangehörigkeit in der Zeit vom 3.9.1939 bis 8.5.1945. Nation: Italien. Vom 30.12.1949.

[22] Aus Heidkaten waren 30 IMI zu finden, die hier bestattet sind. Gerhard Hoch schreibt dazu: "Die verschiedenen Todesursachen lassen erkennen, daß die Betreffenden körperlich sehr geschwächt sein müssen. An Tbc starben 13, an allgemeiner Schwäche und Lungenentzündung je 4. Ein Italiener, Domenico Multare, wurde bei einem Fluchtversuch erschossen am 9.5.1944." S.288.

[23] Im Buch des Friedhofs sowie auf den Grabsteinen ist ihr militärischer Rang angegeben.

[24] Da die neu erhobenen Daten des italienischen Verteidigungsministeriums vom Oktober 2002 bis zum Abschluss der Arbeit der Verfasserin leider nicht vorlagen, kann diese Vermutung nicht bestätigt werden. Nach Abschluss der Auswertung durch das italienische Verteidigungsministerium wird die Verfasserin eine Auswertung der Daten publizieren.

[25] Gesetz 204 Abs. 2 Art. 4 aus dem Jahre 1951 (Legge 204/1951).

[26] Legge 365/1999.