Der Mord in Ulzburg (bzw. Kisdorferfeld)

Aus dem Vernehmungsprotokoll von Hennings ergibt sich, dass die gesamte Gruppe nach dem Vorfall auf der Langenhorner Chaussee, aber noch vor dem Erreichen von Ochsenzoll, eine kurze Marschpause eingelegt hat. Danach ist man (höchstwahrscheinlich) in die Ulzburger Straße eingebogen und nach Norden weitergezogen. Kurz vor dem Erreichen von Ulzburg wurde eine zweite Ruhepause eingelegt, die annähernd eineinhalb Stunden gedauert haben soll: „The second resting place was near a wood on the main road to Kaltenkirchen on the left-hand side.“[42] Der Rest der vorgesehenen Tagesstrecke nach Kaltenkirchen ist nach Aussage von Hennings ohne weitere Zwischenfälle absolviert worden. Das Gericht gab sich mit dieser Aussage zufrieden. Auch in der Vernehmung von Johann Hahn spielten die Ereignisse nördlich von Ulzburg keine Rolle. Hahn wurde nicht danach gefragt und er machte deshalb auch keinerlei Angaben dazu.

Tatsache ist aber, dass „der [Ulzburger] Polizeimeister Soltwedel am 12. April 1945 einen Häftling aus dem Transport von Fuhlsbüttel nach Kiel erschossen aufgefunden hat.“[43] Die ermittelnden Behörden der Engländer forderten den Bürgermeister von Ulzburg im März 1947 auf, so bald wie möglich eine Abschrift der zugehörigen Sterbeurkunde einzureichen. Da sich der Vorfall aber jenseits der Ulzburger Gemeindegrenze in Kisdorferfeld „bei dem Gehöft des Otto Braasch“ ereignet hatte, war der Kisdorfer Bürgermeister Pingel zuständig. Dieser veranlasste schließlich das zuständige Standesamt in Kaltenkirchen eine entsprechende Urkunde nach Hamburg zu übersenden. Aus diesem Dokument ist ersichtlich, dass es sich um den am 16. Januar 1894 geborenen Josef Tichy handelte. Tichy sei ein Strafgefangener aus Hamburg-Fuhlsbüttel gewesen, der die Gefangenennummer 1024/44 besessen habe; er sei „wegen Fluchtversuch“ erschossen worden. Den Todestag und die Todesstunde konnte das Standesamt allerdings nicht so genau angeben. Hier heißt es nur, die Leiche Tichys sei am 19. Juli 1945 „aufgefunden“ worden.[44]

Gerhard Hoch ist es gelungen, die Hintergründe dieses Mordes etwas näher zu erhellen: „Von Augenzeugen wurde berichtet, dass Tichys Leiche von Ulzburger Nazis vergraben wurde. Die Sache kam aber schon im Juli ans Licht. Der stellvertretende Gemeindevorsteher von Kisdorf mußte die Leiche ausgraben. Sie fand ihren letzten Ruheplatz am 21.7.1945 auf dem Kaltenkirchener Friedhof.“[45] Der Mord ist strafrechtlich weder von deutscher noch von britischer Seite verfolgt worden, obwohl es ja eindeutige Hinweise gegeben hat. Sofern Tichy nicht zur Kolonne von Hennings gehört hat, bleibt immer noch die Möglichkeit, dass der Vorfall sich in einer der drei vorher losmarschierten Gruppen (Schütte, Schulzke oder Haak) ereignete. Das mangelnde Interesse der Engländer an einer Untersuchung des Vorfalls kann wiederum damit erklärt werden, dass es sich bei Tichy um einen Österreicher und nicht um einen Angehörigen der alliierten Nationen gehandelt haben soll.

Die Toten von Kaltenkirchen (Freitag, 13.April 1945)

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[42] Befragung von Wilhelm Hennings, in: WO 235/409, S.50.

[43] Schreiben der War Crimes Unit an den Ulzburger Bürgermeister vom 11.03.1947, in: WO 309/967.

[44] Abschrift der Sterbeurkunde für Josef Tichy. Als Dokument vorhanden in: WO 235/410.

[45] Hoch, S.310.