Auf dem Weg nach Ochsenzoll

Über die ersten Vorkommnisse nach dem Verlassen des Anstaltsgeländes haben wir bereits durch die Aussagen von Ewald und Schlenstedt etwas erfahren (s.o.). Inwieweit nun tatsächlich auf dem ersten Marschabschnitt Erschießungen stattgefunden haben, das ist umstritten. Mr. Barnes stellte diesbezüglich fest, dass die Gefangenen im weiteren Verlauf des Marsches „were beaten and kicked by either of the three, Schütte in his column, Hennings and Hahn, and their assistants. These consisted [bestanden] in some cases of foreign collaborating SS-men. They [the prisoners] were beaten and kicked if they lagged behind, they were even beaten for looking behind when a straggler was behind them and about to be shot for his straggling.“ Die hier erwähnten SS-Männer waren beim Abmarsch instruiert worden: „Now go into the ranks, one man approximately every ten to twelve metres.“[38]

Nach Aussage von Hahn und Hennings kam es bereits kurz nach dem Einbiegen auf die Hauptstraße nach Langenhorn und Ochsenzoll zu einem ersten Zwischenfall: „One Prisoner was limping [humpeln] there badly“ erzählte Hahn und Hennings erklärte: „Within the city area of Fuhlsbüttel Sergeant Hahn came to me and reported to me that there was one prisoner who could not march. I told Hahn to ascertain [feststellen] the personal data of this prisoner and have him taken back accompanied by a guard.“ Der Wachtmeister Bodeger, den Hahn aus dem AEL Wilhelmsburg kannte, war zufällig vorbeigekommen und erhielt jetzt die Anweisung, den marschunfähigen Gefangenen in die Haftanstalt zurückzuführen. Nach Angaben von Tessmann sollen auf diese Art und Weise mehrere Personen nach Fuhlsbüttel zurückgekehrt sein.[39]

Der zweite Zwischenfall ereignete sich vor Ochsenzoll auf der Langenhorner Chaussee: Hennings, der am Ende der Kolonne marschierte, hatte gesehen, dass ein Gefangener in der Mitte zusammengebrochen war. Er ließ weitermarschieren und kümmerte sich dann nach eigener Aussage mit einem anderen Wachmann um den am Boden Liegenden, der offensichtlich das Bewusstsein verloren hatte. Die Erste-Hilfe-Bemühungen waren jedoch nicht sehr erfolgreich und deshalb ließ Hennings den Wachmann mit dem Gefangenen zurück. Später will Hennings gehört haben, dass der Erkrankte sich schnell erholte und sich unbehindert vom Ort des Geschehens entfernen konnte. Den Wachmann will er nicht gekannt und auch nicht wiedergesehen haben. Er selbst hatte wieder zu der vorausmarschierenden Kolonne aufgeschlossen: „On the way I fired into the air … to frighten the prisoners of the transport because by the time the length of the transport had extended considerably [erheblich], resistance offered grew considerably, and this was the only way to frighten them.“[40]

Diese von Hennings abgefeuerten Schüsse sind zwar von einigen Marschteilnehmern, nicht aber von dem am Anfang der Kolonne als Bewacher agierenden Johann Hahn gehört worden. Hahn behauptete in dem Prozess, dass er von dem ganzen Vorfall aufgrund des Lärms auf dieser Hauptverkehrsstraße nichts mitbekommen habe. Die Kolonne sei bereits 200 - 300 Meter lang gewesen und Hennings hätte ihn erst in Kiel darüber informiert: Eine insgesamt nicht sehr glaubwürdige Darstellung. Auf der anderen Seite haben diejenigen, die die Schüsse gehört haben, den Vorfall aber nicht genauer beobachten konnten, natürlich geschlossen, dass Hennings den am Boden liegenden Mitgefangenen in Ausübung des zuvor erhaltenen Befehls gnadenlos erschossen habe. Entsprechende Aussagen der ehemaligen Häftlinge Walter Rönfarth und Walter Förtsch haben Gerhard Hoch und Detlef Korte veranlasst, sich dieser Version anzuschließen.[41] Eine Leiche ist in diesem Zusammenhang aber nirgendwo gefunden worden, ebensowenig gibt es über diesen Vorfall eine Sterbeurkunde. Deshalb kann nicht mit letzter Sicherheit behauptet werden, dass hier jemand erschossen worden ist.

Für das Gericht spielte der Vorfall auf der Langenhorner Chausseee im weiteren Verlauf des Prozesses keine zentrale Rolle. Hennings wurde mit diesem potenziellen Mord auch nicht weiter in Verbindung gebracht. Als Begründung kann hierfür sicherlich die Undurchsichtigkeit des Ereignisses herangezogen werden; auf der anderen Seite hatte man aber auch gehört, dass es sich bei dem zusammengebrochenen Häftling um einen Deutschen gehandelt haben soll. Somit verlor die britische Besatzungsmacht das Interesse an diesem Fall, denn sie fühlte sich zu diesem Zeitpunkt lediglich für die Aufarbeitung von Verbrechen zuständig, die an Angehörigen der alliierten Nationen begangen worden waren.

Der Mord in Ulzburg (bzw. Kisdorferfeld)

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[38] Befragung von Johann Hahn, in: WO 235/409, S.112.

[39] Befragung von Johann Hahn, in: WO 235/409, S.113 und Befragung von Wilhelm Hennings, in: WO 235/409, S.49.

[40] Befragung von Wilhelm Hennings, in: WO 235/409, S.50.

[41] „Schon in Langenhorn, vor Ochsenzoll, brach der erste Häftling vor Schwäche bewußtlos auf der Straße zusammen. Hennings schoß ihm zwei Kugeln in den Kopf.“ (Hoch, S.310); „Bereits am Hamburger Stadtrand brach ein Häftling zusammen. Der für diese Gruppe zuständige SS-Mann ließ den ganzen Zug halten, ging zu dem auf dem Boden Liegenden und schoß dem Mann mit seiner Pistole zweimal durch den Kopf.“ (Korte, S.193f.)