Einleitung

Am 7. Dezember 1946 berichtete Minna Lieberam (eine ehemalige Inhaftierte des Polizeigefängnisses Hamburg-Fuhlsbüttel) einem Vertreter der britisch-polnischen War Crimes Investigation Unit: „Ich kam nach Kiel-Hassee mit dem Transport der Kranken und Körperbehinderten. Auf einem Wagen kamen diejenigen mit uns, die während der Verhöre so zusammengeschlagen wurden, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. Auf dem Wege kamen wir an den marschierenden Kolonnen vorbei. Die Menschen waren in furchtbarem Zustande. Die meisten waren barfuss, und ihre Füsse waren mit eiternden Wunden bedeckt. In Kiel-Hassee haben mir Kameraden erzählt, dass viele Menschen auf dem Transport erschossen wurden.“[1]

Diese Aussage ist bereits im Jahre 1991 von Detlef Korte in seiner Dissertation zitiert worden.[2] Er wies damals auch auf den autobiographischen Bericht von Hilde Sherman hin, die u.a. ausführte: „Wir erreichten eine Stadt, Neumünster, die wir von außen umgingen. Die Leute kamen aus den Häusern, um unseren Elendszug zu betrachten. Keiner sagte ein Wort. Kein Schimpfwort wurde laut, keine Verwünschungen wurden uns nachgerufen. Stumm sahen sie uns vorbeiwanken. Wir baten um Wasser, und im Handumdrehen standen volle Eimer und Töpfe mit Trinkbechern vor den Haustüren. Halbverdurstet stürzten wir uns auf diese Labe, als das Kommando ertönte: 'Zurück, sonst wird geschossen!' Die SS hatte die Maschinenpistolen im Anschlag, die Finger an den Abzügen. Wir sahen das Wasser vor uns, in greifbarer Nähe, und durften nicht trinken. Die SS stieß Eimer und Töpfe um, das Wasser floß auf die Straße.“[3] Den Nachgeborenen kann durch diese beiden Zitate vielleicht ein ungefährer Eindruck davon vermittelt werden, was sich damals während der Evakuierung des offiziell so genannten Polizeigefängnisses Fuhlsbüttel ereignet hat.

Korte konnte sich bei seiner Darstellung der Ereignisse[4] auf Hinweise beziehen, die Gerhard Hoch bereits 1980 geliefert hatte.[5] Während Korte zusätzliches Quellenmaterial im Public Record Office in Kew/London sichtete, beruhten die Ausführungen von Hoch zum großen Teil auch auf Zeitzeugenbefragungen: „Von den Teilnehmern an diesem Marsch konnte eine große Anzahl vom Verf. befragt werden.“[6] Die nachfolgenden Ausführungen versuchen zum einen, die damaligen Ereignisse (durch weitere Materialien aus dem Public Record Office) noch etwas genauer aufzuhellen. Zum anderen soll der Blick aber auch auf die Täter gerichtet werden und auf den Prozess, der ihnen 1947 gemacht wurde.

Der Streckenverlauf als pdf-Datei.

Der Prozess „Fuhlsbüttel Case No. 2“

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[1] Public Record Office: WO 235/410 (Exhibit 19).

[2] Detlef Korte: „Erziehung“ ins Massengrab. Die Geschichte des „Arbeitserziehungslagers Nordmark“ Kiel-Russee 1944-1945, Kiel 1991, S.193.

[3] Hilde Sherman: Zwischen Tag und Dunkel. Mädchenjahre im Ghetto, Frankfurt/M.-Berlin-Wien, 1984, S.128.

[4] Korte, S.191-197.

[5] Gerhard Hoch: Zwölf wiedergefundene Jahre. Kaltenkirchen unter dem Hakenkreuz, Bad Bramstedt, o.J. [1980], S.308-312.

[6] Hoch, S.309.