Der Prozess „Fuhlsbüttel Case No. 2“

In der Zeit vom 1. - 24. September 1947 fand in Hamburg der von der englischen Besatzungsmacht angestrengte Prozess gegen 10 ehemalige Beschäftigte des Gestapo-Gefängnisses statt. Angeklagt waren Willi Tessmann, Otto Schütte, Wilhelm Hennings, Hans Stange, Johann Hahn, Carl Oehl, Hildegard Burmeister, Wilhelm Schulzke, Anna Bismarck und Minna Borgemehn. Der „No.1 War Crimes Court“ versammelte sich an 20 Prozesstagen im Curiohaus in der Rothenbaumchaussee und verhandelte gegen die Angeklagten in drei Punkten:

I. Misshandlung von Angehörigen der alliierten Nationen innerhalb des Gefängnisbereiches in Fuhlsbüttel in der Zeit vom April 1943 - April 1945.

II. Tötung von Angehörigen der alliierten Nationen außerhalb des Gefängnisses (in Hamburg-Eidelstedt) im Februar/März 1944. Die Opfer waren 11 Russen.

III. Misshandlung und Tötung von Angehörigen der alliierten Nationen während des Evakuierungsmarsches von Fuhlsbüttel nach Kiel im April 1945.

Den Vorsitz hatte „President“ Bentley inne. Ihm zur Seite standen als Berater der „Judge Advocate“ Basil-Nield, vier „Members“ als Beisitzer und der „Prosecutor“ Mr. Barnes als Ankläger.[7] Der Ablauf des Prozesses war weitgehend dadurch geprägt, dass jeder Angeklagte von seinem Verteidiger zu den einzelnen Anklagepunkten als Zeuge befragt wurde. Anschließend war noch ein Kreuzverhör durch den Prosecutor möglich. Die Aussagen der Angeklagten wurden englischsprachig protokolliert. Sofern es Verständigungsschwierigkeiten gab, war ein „Interpreter“ zur Stelle.[8]

In der Eröffnungssitzung erklärte der Chefankläger Mr. Barnes hinsichtlich des dritten Anklagepunktes, der im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen stehen soll: „It is not easy, Sir, … to get an exact picture of who was shot in which field at which time and of what nationality he was.“[9] Diese Einschätzung kennzeichnet in zutreffender Weise die Schwierigkeiten, die sich auch heute noch ergeben, wenn sich der Historiker um eine kritische aber objektive Darstellung der Ereignisse vom April 1945 bemüht. Letzte Zweifel und ungenaue Kenntnisse sind nicht gänzlich auszuräumen gewesen. Wir werden davon ausgehen können, dass die Feststellung von Korte auch zukünftig Bestand haben wird: „Die Gesamtzahl der während des Todesmarsches Erschossenen wird sich wohl nie ermitteln lassen.“[10]

Das „Polizeigefängnis“ Fuhlsbüttel im Frühjahr 1945

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[7] Zum Ablauf und zu den Besonderheiten der britischen Militärgerichtsprozesse siehe Hermann Kaienburg: Die britischen Militärgerichtsprozesse zu den Verbrechen im Konzentrationslager Neuengamme, in: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 3, 1997, S.56 ff.

[8] Die Prozessakten befinden sich vollständig im Public Record Office. Es handelt sich um die Abteilung „War Office“ (WO). WO 235/407, 408 und 409 beinhalten für jeden Prozesstag die englischsprachigen Verhandlungsprotokolle. In WO 235/410 und 411 liegen die zumeist deutschsprachigen Aussage- bzw. Vernehmungsprotokolle der Angeklagten und der Zeugen vor. In 412 befinden sich zahlreiche Gnadengesuche der Verurteilten und 413 beinhaltet nähere und abschließende Urteilsbegründungen. Im Dokumentenhaus der Gedenkstätte Neuengamme liegen zahlreiche Auszüge aus den vorgenannten Akten in fotokopierter Form vor.

[9] Protokoll des ersten Prozesstages, in: WO 235/407, S.6.

[10] Korte, S.197.