"... und in Flintbek stiegen ein paar hundert Jungens aus dem Zug" [1]

Das DWK-Lager in Flintbek 1942

[Foto: Brose, Flintbek]

 

Die in Wattenbek (beim Aufbau des dortigen DWK-Lagers) tätigen Bauhandwerker sind laut Melderegister "nach Flintbek verzogen", und es ist somit davon auszugehen, dass die Berliner Firma auch den Aufbau des DWK-Lagers in Flintbek übernommen hat. Der Kenntnisstand über das Flintbeker Lager, das im Spätsommer 1942 bezugsfertig war, ist bisher nur sehr unzureichend gewesen. Es gibt aber Berichte von ehemaligen Insassen des Lagers, so z.B. von dem Niederländer Petrus van Eekelen, der 1943 (in den letzten Junitagen) als 20jähriger nach Flintbek kam: "Im Laufe des Mittags kamen wir in Kiel an. Unser Auftrag war, uns auf dem Arbeitsamt zu melden. Nach vielem Suchen kamen wir auch schließlich dort an. Hier wurden wir eingeschrieben und bekamen zu hören, dass wir auf einer Schiffswerft, nämlich D.W.K. (Deutsche Werke Kiel) arbeiten sollten. Unterkunft würden wir in einem Wohnlager bekommen, was im Klartext hieß: ein Lager mit Holzbaracken. Dieses Lager lag in einem kleinen Dorf, ungefähr 10 km von Kiel, mit Namen Flintbek."[2]

"Vom Arbeitsamt aus mussten wir wieder zurück zum Bahnhof, denn nach Flintbek fuhrst du mit dem Zug. Am Bahnhof mussten wir zunächst eine Weile warten, aber in einem bestimmten Moment strömte der Bahnhof voll mit "Ausländern", Niederländern, Belgiern und Franzosen. Zusammen mit ihnen bestiegen wir den Zug, und in Flintbek stiegen ein paar hundert Jungens aus dem Zug. Auch wir stiegen aus und folgten der Meute zum Lager."

 

[Foto: Brose, Flintbek]

Zur genaueren Lokalisierung des Lagers in Flintbek können auch die Angaben von Petrus van Eekelen herangezogen werden: "Wenn wir abends mit dem Zug von Kiel nach Flintbek kamen, mussten wir vom Zug aus über einen Überweg auf die andere Seite der Eisenbahnlinie und danach einem Weg geradeaus folgen, der ordentlich in die Höhe lief, um die Kirche herum, und dann etwas weiter war das Lager. Ich erinnere mich, dass da gerade außerhalb des Lagers ein Café war, dessen Eigentümer Butenschön genannt wurde."[3]

Die Insassen des Lagers gingen also auf ihrem Heimweg vom Bahnhof den Kätnerskamp entlang und den Rosenberg hoch bis zur Kirche. Dann sind sie der Straße nach Böhnhusen gefolgt, haben rechter Hand Butenschöns Gasthof passiert und sind anschließend in den heutigen Butenschönsredder (damals Achterrüm-Weg) eingebogen. Das Lagergelände befand sich nach ungefähr 150 m auf der rechten Seite, d.h. am südlichen Ortsrand von Flintbek. Heute befindet sich dort westlich und östlich der Altenkircherstraße Wohnbebauung.[4]

 

11 Wohnbaracken mit jeweils drei Zimmern zu je 18 Personen

Aus der unmittelbaren Nachkriegszeit gibt es für viele Orte die sogenannten Form-96-Bögen [5]. In dem entsprechenden Bogen für Flintbek werden sehr konkrete Angaben über das örtliche DWK-Lager gemacht. Es "wurde unmittelbar am Dorfrand von Flintbek auf einem überwiegend der Gemeinde gehörigen Gelände errichtet und umfaßt: 11 Wohn-, 1 Verwaltungs-, 1 Wirtschafts-, 1 Sanitäts-, 2 Wasch- und 2 Abort-Baracken mit einer Unterbringungsmöglichkeit von etwa 500 Personen". Das waren zumeist Holländer, aber es soll auch 177 Belgier gegeben haben, die auf der Werft in Kiel gearbeitet und im Lager in Flintbek gewohnt haben. Die Leitung des Lagers hatte zunächst Heinrich Möller aus Flintbek und dann Hans Witt aus Lunden inne.[6]

Von Petrus van Eekelen gibt es sehr detailgenaue Angaben zum Aufbau der einzelnen Wohnbaracken: "Das Wohnlager bestand aus einer großen Anzahl Holzbaracken. Jede Baracke hatte drei Kammern, und in jeder Kammer 'wohnten' 16 Männer in sogenannten Stapelbetten."[7] Er konnte sich auch noch sehr genau an seine Kammer erinnern und hat eine entsprechende Zeichnung mit allen Einrichtungsgegenständen angefertigt:

 

 

"Man hatte uns [auf dem Arbeitsamt in Kiel] auch gesagt, dass wir uns beim Lagerführer melden sollten, der in einer Einzelbaracke untergebracht war. Auch hier wurden wir eingeschrieben und uns Baracke 5, Kammer 3 zugewiesen. Uns etwas fremd fühlend, gingen wir auf die Suche nach dieser Baracke, und als wir hineinkamen, schauten uns 15 Augenpaare etwas argwöhnisch an. Wir wurden durch den 'Stubenältesten' vorgestellt und bekamen einen Platz angewiesen. Dieser Platz bestand aus einer Holzkrippe und einem Schrank. Ich erhielt das oberste Bett eines Stapelbettes, auch mein Reisegefährte Piet, direkt neben mir (siehe x in der Zeichnung)."

"So sollten wir zwei Jahre lang nebeneinander schlafen. Die Einteilung der Baracke war in etwa wie folgt: Dort standen neun Stapelbetten für 18 Männer. Jeder hatte einen schmalen Schrank, und ferner standen da zwei Holztische mit jeweils zwei Holzbänken. Dann gab es noch einen Verschlag, worin im Winter die Kohlen aufbewahrt wurden, und zentral in der 'Kammer' stand ein großer Ofen."[8]

 

[Foto: Brose, Flintbek]

Über das Essen im Lager wurden sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Petrus van Eekelen erinnerte sich im Jahre 1994: "Das Essen war am Anfang nicht schlecht, aber je länger der Krieg dauerte, umso schlechter wurde es. Kohlsuppe und Steckrüben waren an der Tagesordnung."[9] Seine erste Mahlzeit in Flintbek hat er folgendermaßen beschrieben: "Die erste Mahlzeit, die wir erhielten, bestand aus 'Kohlsuppe', womit geschnittener Weißkohl in Wasser mit hier und da einer Scheibe Wurst bezeichnet wurde. Nachdem wir das [Essen] eben probiert hatten, schoben wir es weg, denn wir fanden, daß es reines Schweinefutter wäre. Später sollten wir es schon gerne essen, denn Hunger macht alles lecker."[10]

Ein Vertreter der DWK äußerte sich dagegen im Oktober 1947 gegenüber den Besatzungsbehörden: "Die Verpflegung im Lager [Flintbek] war reichlich und gut, sodaß uns nie Klagen bekanntgeworden sind. Außerdem wurde im Werk [in Kiel] ein warmes Mittagessen verabfolgt, wie es auch die deutschen Arbeitskräfte erhielten."[11]

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[1] Das Zitat stammt aus einem Brief des Niederländers Petrus van Eekelen aus dem Jahre 1993. Er war 1943 als 20jähriger von dem für ihn zuständigen Arbeitsamt in Roosendaal zum Arbeitseinsatz in Schleswig-Holstein verpflichtet worden. Der Brief wurde zitiert von Peter Meyer-Strüvy: Niederländische Zwangsarbeiter in Kiel, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, hrsg. vom Arbeitskreis für die Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS), Heft 28 (1995), S.43.

Die Spurensucher in Flintbek veröffentlichten den Brief im Jahre 2003 unter dem Titel "Der Krieg und meine Jugend sind vorbei ...", in: Erlebte Geschichte - Spurensuche in Flintbek 1939 – 1950, Flintbek 2003, S.178 ff.

[2] Ebd. Vgl. hierzu auch Peter Meyer-Strüvy: Niederländische Zwangsarbeiter in Kiel und Lübeck, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 25 (1994), S.5.

[3] Wie Anmerkung 1.

[4] Herr Brose aus Flintbek hat wesentlich dazu beigetragen, dass der genaue Standort des Lagers zweifelsfrei festgestellt werden konnte.

[5] Es handelt sich um die (deutsche) Ursprungsfassung der so genannten Form-96-Bögen, die im Landesarchiv in Schleswig in Abt.415 Nr.3424 und 3425 vorliegt. Die Bögen sind in den ersten Nachkriegsjahren im Auftrag der belgischen Regierung von den schleswig-holsteinischen Gemeindeverwaltungen erstellt worden. Vgl. dazu: "Verschleppt zur Sklavenarbeit", hrsg. von Gerhard Hoch und Rolf Schwarz, Alveslohe und Nützen 1985, S.150ff.. Den Herausgebern lagen 1985 nur die französischen Übersetzungen der Bögen vor, die nicht alle Informationen der deutschen Fassungen enthielten. Zusätzlich befinden sich in dem neuen Bestand Schreiben von Firmen, die Angaben über ihre Lager aus der NS-Zeit gemacht haben.

[6] Schreiben der DWK vom 30.10.1947 an eine Besatzungsbehörde in Hamburg und Schreiben der Kieler Werkswohnungen GmbH vom 21.2.1948 an die DWK (LAS Abt.415, Nr.3424).

[7] Diese Angabe machte Petrus van Eekelen in seinem Brief vom 22.5.1994 (wie Anmerkung 2).

[8] Wie Anmerkung 1, S.43 f. Hier ist allerdings die Rede von 18 Bewohnern in 9 Stapelbetten.

[9] Wie Anmerkung 2.

[10] Wie Anmerkung 1, S.45.

[11] Wie Anmerkung 6.