3. Der Versuch, eine exakte und präzise Anzahl
der Zwangsarbeitenden zu ermitteln.

Im Folgenden werden zu einzelnen in der Statuserhebung benutzten Quellen, erwähnten Aspekten und dazu getroffenen Ausführungen kritische Anmerkungen gemacht und Fragen gestellt. Dies erfolgt auch deswegen sehr detailliert, um zu zeigen, mit welchen Widrigkeiten der Versuch einer präzisen und exakten Statuserhebung behaftet ist.

a) "Der Arbeitseinsatz im (Groß-)Deutschen Reich"
- eine schwierige Quelle

Mit Hilfe der durch die Arbeitsämter ermittelten Zahlen über die Beschäftigungsverhältnisse im Deutschen Reich versucht U. Danker die Gesamtzahl der Zwangsarbeiter zu ermitteln, die während des II. Weltkrieges in Schleswig-Holstein eingesetzt waren. Diese Angaben wurden unter der Bezeichnung "Der Arbeitseinsatz im (Groß-)Deutschen Reich" veröffentlicht und sind mit den heutigen, monatlichen Mitteilungen der Bundesanstalt für Arbeit vergleichbar. Als Quelle sind sie seit den Publikationen von Laurenz Demps (1973) [14] und Ulrich Herbert (1985) [15] bekannt und wurden durch das IZRG erstmalig für Schleswig-Holstein erfasst und teilweise publiziert. Danker geht davon aus, dass es keinen begründeten Anlass gibt, "an der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der für den internen Gebrauch erstellten Erhebungen der Arbeitsstatistiker zu zweifeln" (S. 38). Er unterlässt es daraufhin, zu überprüfen, ob die Situation Schleswig-Holsteins aufgrund seiner Grenzlage zu Mecklenburg, Niedersachsen und Hamburg überhaupt hinreichend aus Statistiken erschlossen werden kann. Einige Fragen an die Quelle hätten schon gestellt werden müssen:

  • Wo wurden die Arbeitskräfte derjenigen schleswig-holsteinischen Firmen gezählt, deren Arbeitslager in Hamburg lagen?
  • Wie sah es im umgekehrten Fall aus?
  • Wie wurden die Betriebe aus Lübeck oder Hamburg berücksichtigt, die nach den Bombenangriffen länger oder kurzfristig nach außerhalb verlagert wurden?
  • Wie wurden Arbeitskräfte Hamburger Firmen berücksichtigt, die in Hamburg untergebracht, aber in Schleswig-Holstein tätig waren (und umgekehrt)?
  • Wurde der Einsatz in Zweigstellen großer Industriebetriebe gesondert berücksichtigt, wenn der Verwaltungssitz außerhalb Schleswig-Holsteins lag?[16]
  • Wurden die Verhafteten, Verurteilten oder ohne Urteil in Straflager Überwiesenen weiterhin vom Arbeitsamt erfasst?

Ein Teil der Zwangsarbeitenden wurde nur zeitweise in Schleswig-Holstein eingesetzt, so dass diese Arbeiter anschließend nicht mehr in die Zuständigkeit der schleswig-holsteinischen Arbeitsämter fielen. Mindestens 4% der Polen, die in Elmshorn eingesetzt waren, wurden nach Hamburg oder in andere Provinzen verbracht. Im Jahre 1944 verließen 42 der auf der Carlshütte in Büdelsdorf beschäftigten Russen das Werk, um zur Waffen-SS, zum Bergbau oder zum Ruhreinsatz zu gehen. Die Anzahl dieser Arbeitsplatzwechsel bezeichnet das Gutachten richtigerweise als nicht "quantifizierbar" (S.71) - mit den vom Autor benutzten Quellen. Wenn die 42 Russen Schleswig-Holstein verließen, müsste sich die statistische Zahl entsprechend verringern. Sie stieg jedoch fortwährend, so dass z.B. bei einer Steigerung der erfassten Zwangsarbeiter um 100 mindestens 142 neue Arbeitskräfte ins Land gekommen sein müssen.

Außerdem ist Folgendes zu berücksichtigen: Die schlechten Lebensbedingungen in Hamburger Lagern führten dazu, dass zahlreiche Zwangsarbeiter aus Hamburg flohen und sich um Schwarzarbeit in der Landwirtschaft bemühten. Die Geheime Staatspolizei in Kiel notierte dazu 1944: "Einen besonders hohen Prozentsatz unter diesen flüchtigen Zivilarbeitern stellen die Ostarbeiter. In zahlreichen Fällen ist festgestellt worden, dass diese Ausländer Aufnahme und Arbeit in den angrenzenden Landgebieten, besonders im schleswig-holsteinischen Raum, gefunden haben. Es sollen nun einige Arbeitsämter diesen flüchtigen Ostarbeitern Arbeitsbücher als Polen ausgestellt haben, ohne nach Unterlagen zu fragen. ...... Die auf diese Art neuvermittelten Arbeiter setzen sich nun mit ihren Landsleuten in Verbindung und fordern diese auf, sich auf die gleiche Art ihren Verpflichtungen zu entziehen."[17] Diese Personen wurden sowohl in Hamburg als auch in Schleswig-Holstein gezählt, zum einen als Polen, aber auch als Ostarbeiter.

Seit dem Einsetzen der Fluchtbewegung im Osten stellte der Präsident des Gauarbeitsamtes Schleswig-Holstein am 8.11.1944 fest: Es würden viele Personen "sich nicht beim Arbeitsamt melden, sondern eigenmächtig eine Arbeit annehmen", obwohl sie doch erst vom Durchgangslager in Neumünster-Wittorf erfasst werden sollten.[18]

Diese beiden Beispiele verdeutlichen noch einmal die oben zitierte Widersprüchlichkeit in den Aussagen des Gutachtens: R. Bohns Feststellung [19] ist zuzustimmen, während U. Dankers These, dass es keinen begründeten Anlass gäbe, "an der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der für den internen Gebrauch erstellten Erhebungen der Arbeitsstatistiker zu zweifeln" (S. 38), nicht zu halten ist. Da offensichtliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der genannten Zahlen über Zwangsarbeitende bestehen, können somit auch die damit durchgeführten statistischen Berechnungen nicht den Anspruch der Präzision und der Exaktheit erfüllen.

FORTSETZUNG 3b


[14] Laurenz Demps: Zahlen über den Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter in Deutschland im Jahre 1943, in: ZFG 21 (1973).

[15] Ulrich Herbert: Fremdarbeiter, Politik und Praxis des 'Ausländer-Einsatzes' in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, 1985.

[16] Gerade, weil Klaus Fischer die Entschädigungsfrage beleuchtet und die Frage einer Beteiligung schleswig-holsteinischer Unternehmen am Stiftungsfonds ansteht, wäre eine Unterscheidung zwischen dem Arbeitseinsatz auf schleswig-holsteinischem Territorium und der Beschäftigung für schleswig-holsteinische Firmen, Verbände usw. wünschenswert gewesen.

[17] Rundverfügung der Geheimen Staatspolizei Kiel vom 20.6.1944, Abschrift im Gemeindearchiv Büdelsdorf.

[18] Ebenda

[19] "Die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsämter und damit die exakte Registrierung der Arbeiter wurde von den Arbeitgebern sowie den Fremdarbeitern aber nicht selten umgangen." (S.20)