Zwangsarbeit in einem Dorf
Brügge im Jahre 1940
von Uwe Fentsahm [*]

Der Krieg führte auch in Brügge zu einigen einschneidenden Veränderungen im Dorfleben. In der Zeit vom 20.April bis zum 20.September 1940 wurde Pastor Warnke das erste Mal zum Heeresdienst eingezogen und Pastor Ehmsen aus Flintbek musste ihn vertreten. Die Erlebnisse während seiner fünfmonatigen Abwesenheit haben Warnkes Zweifel am Nationalsozialismus offensichtlich nicht beseitigt. In der Kirchenchronik schrieb er: "In einer so ernsten Zeit, wie gerade jetzt im Kriege, ist von der Regierung der Bußtag abgeschafft worden. Auch ein Zeichen der Zeit! Man ist zu stolz zur Buße. Möchte Gott nur gnädig sein!" Am 24.September 1941 erfolgte seine erneute Einberufung. Er wurde zunächst in der "Kriegsgefangenen-Bewachung" in Nortorf eingesetzt und konnte deshalb in Brügge "noch manchen Gottesdienst halten". Seine Vertretung wurde jetzt von Neumünster aus geregelt und "später von Herrn Bischof D. Völkel (Bordesholm) übernommen". Die von Warnke für Völkel gewählte Amtsbezeichnung war nicht mehr ganz korrekt, sie drückt aber ein gewisses Maß an Ehrerbietung aus. Völkel war seit 1933/34 Bischof a.D. und durfte nur noch als einfacher Gemeindepastor in Bordesholm tätig sein.

Ab 1942 war es jedoch vorbei mit dem heimatnahen Dienstort. Pastor Warnke wurde jetzt nach eigener Aussage "immer in Feindesland eingesetzt. Anfangs in Belgien und Frankreich, später im Südosten (Slovakei)". Er kehrte erst am 11.Juni 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft in den Gemeindedienst nach Brügge zurück und ließ sich dann für die Kirchenchronik berichten, was im Ort passiert war: "In der Zwischenzeit hat auch die Gemeinde mehr und mehr von den Schrecken des Krieges zu spüren bekommen. Die Luftangriffe auf die benachbarten Städte brachten auch für die Dörfer manche gefahrvolle Stunde. Bomben sind gefallen in Brüggerholz, Bissee, Schönhorst, Groß Buchwald und Schillsdorf. Außer einigen abgebrannten Häusern ist kein größerer Schaden entstanden. Menschenleben sind dabei, soviel mir bekannt geworden ist, nicht zu beklagen gewesen. Gott hat viel Geduld mit der Gemeinde bewiesen und ihr viel Gnade erwiesen. Das haben wir auch besonders im Pastorat erfahren. Am 1.November 1941 fielen in den Pastoratsgarten und in die angrenzende Wiese gegen 100 Brandbomben. Rund ums Haus herum, bis zu drei Meter vom Haus entfernt, loderten die Feuer auf. Eine Brandbombe war ins Haus gefallen. War auf einen Balken geschlagen, dort durchgebrochen und schließlich ohne zu zünden auf dem Boden, nahe unter dem Strohdach, liegengeblieben. Eine offensichtliche Bewahrung. Trotz aller unserer Unwürdigkeit ist Gott uns doch so nahe geblieben. Ihm sei dafür Ehre und Dank!"[1]

Die Gefährdung der Bevölkerung durch mögliche Bombenabwürfe scheint für Pastor Warnke das herausragende Kennzeichen der damaligen Zeit gewesen zu sein, das der Nachwelt durch die Kirchenchronik überliefert werden sollte. Eine andere kriegsbedingte und für alle Einwohner sichtbare Veränderung im Dorfleben wird von ihm nicht erwähnt: Die Anwesenheit von über 40 ausländischen Arbeitskräften, die nicht freiwillig nach Brügge gekommen waren. Es handelte sich um männliche und weibliche Zwangsarbeiter, die von den Nationalsozialisten verharmlosend als "Fremdarbeiter" bezeichnet wurden. Sie haben hier überwiegend in der Landwirtschaft gearbeitet.

Nachdem die deutschen Truppen Polen im September 1939 besetzt hatten, kamen Beamte der ehrwürdigen deutschen Institution "Arbeitsamt" hinzu und überzogen das eroberte Land flächendeckend mit eigenen Amtsstuben. Man versuchte zunächst mit Werbeaktionen polnische Arbeitskräfte auf freiwilliger Basis zum Einsatz im "Altreich" zu bewegen. Dieser Versuch war allerdings wenig erfolgreich, da nur sehr wenige Polen sich darauf einließen. Diejenigen, die aus finanziellen Gründen "freiwillig" nach Deutschland gefahren waren, berichteten in ihren Briefen sehr bald von den falschen Versprechungen der deutschen Arbeitsbehörden und von der schlechten Behandlung auf den neuen Arbeitsstellen. So war es für das Arbeitsamt innerhalb kurzer Zeit nicht mehr möglich in Polen Freiwillige zu finden. Deshalb wurde jetzt verstärkt auf Zwangsmaßnahmen zurückgegriffen. Razzien fanden statt, indem Polizeikräfte und SA- oder SS-Angehörige Kinos umstellten, Straßenbahnen anhielten oder Spaziergänger im Stadtpark in Gewahrsam nahmen. Kinder und Greise durften nach Hause gehen, aber allen Arbeitsfähigen beiderlei Geschlechts wurde befohlen, sich zu einem bestimmten Termin am Bahnhof ihres Heimatortes einzufinden. Wer den Termin verstreichen lassen würde, dem wurden Repressalien gegenüber Familienangehörigen angedroht. Konkret bedeuteten diese Drohungen den Abtransport ins "Generalgouvernement", das von den Nationalsozialisten zur unbegrenzten Rekrutierung von Sklavenarbeitern eingerichtet worden war. Wer seinen Verwandten ein derartiges Schicksal ersparen wollte, der fand sich rechtzeitig am Bahnhof ein, ließ sich ins Deutsche Reich transportieren, in einem "Durchgangslager" (wie z.B. in Neumünster-Wittorf, Lindenstraße) mit DDT behandeln und wurde dann "auf Gedeih und Verderb" seinem neuen Arbeitgeber überstellt.[2]

Der 27jährige Wladyslaw D. aus Wielun (Polen) war der erste Zwangsarbeiter in Brügge. Er kam bereits Ende September 1939 und wurde auf dem Hof von Friedrich Bracker in Brüggerholz eingesetzt. Bracker war seit vielen Jahren Ortsbauernführer und seit kurzem auch Ortsgruppenleiter der NSDAP. Inwieweit diese parteiamtlichen Funktionen die Zuweisung von Arbeitskräften begünstigt haben, kann bisher noch nicht hinreichend beantwortet werden. Bracker wurde 1928 im Adressbuch für den Kreis Bordesholm noch als "Kätner" bezeichnet. Seit 1934 durfte er sich "Bauer" nennen, da sein Grundbesitz zum "Erbhof" erklärt worden war. Gemessen an anderen Bauernstellen im Ort war der Hof von Bracker mit 22 ha aber relativ klein. Im Juli 1941 musste die damals 27jährige Rosalie B. aus dem Banat ihren Dienst als zusätzliche Arbeitskraft auf dem Hof von Friedrich Bracker antreten.[3]

Im November 1939 kamen zwei weitere Polen. Der 16jährige Emil P. und der 18jährige Richard P. wurden dem Bauern Gnutzmann als Hilfskräfte zugewiesen (und sind wohl auch von diesem angefordert worden). Der langjährige Gemeindevertreter und NSDAP-Parteigenosse Rudolf Gnutzmann war auch seit 1934 Besitzer eines "Erbhofes". Dieser gehörte mit 46 ha aber zu den größeren des Ortes. Im Juni 1941 kam mit dem 28jährigen Wojzig G. ein dritter Pole auf den Hof. Zu Beginn des Jahres 1942 erhielt Gnutzmann mit der 24jährigen Maria D., die ebenfalls aus Polen stammte, eine weitere preisgünstige Arbeitskraft. Wie diese vier Polen behandelt worden sind, das wissen wir leider nicht

Der Stellvertreter des Bürgermeisters, langjährige Gemeindevertreter und NSDAP-Parteigenosse Ernst Willrodt erhielt erst im Laufe des Jahres 1940 eine zusätzliche Arbeitskraft. Es handelte sich um den 18jährigen Czeslaw Z. aus Polen. Der "Erbhof" von Willrodt war mit 52 ha der zweitgrößte am Ort. Im Januar 1941 kamen zwei weitere Polen auf diesen Hof: die 36jährige Aniela P. und der 19jährige Tadeusz G.. Die Ankunft des vierten Zwangsarbeiters aus Polen hat Ernst Willrodt nicht mehr miterlebt, denn er ist im Juni 1941 verstorben. Den Hof hat sein Sohn Heinrich übernommen. Dieser kam im April 1942 zusätzlich in den Genuss der Arbeitskraft des 19jährigen Joseph S..

Der langjährige Gemeindevertreter und Ortsgruppenleiter der NSDAP, Otto Reimers, war zwar Besitzer des mit 55 ha größten "Erbhofes" am Ort, er erhielt aber erst im Januar 1941 mit dem 16jährigen Roman M. aus Polen eine zusätzliche Arbeitskraft. Vielleicht ist dieser späte Zeitpunkt darauf zurückzuführen, dass Reimers inzwischen nicht mehr in der ersten Reihe der NSDAP-Funktionäre aktiv war. Es sollte über ein Jahr dauern, bis er im April 1942 mit der 18jährigen Barbara S. eine zweite Hilfskraft aus Polen bekam. Im November 1943 wurde ihm mit dem 45jährigen Marian D. der dritte Zwangsarbeiter aus Polen zugewiesen und im März 1944 kam mit dem 30jährigen Oswald v. B. noch ein Belgier hinzu. Reimers erhielt zwar insgesamt auch vier Arbeitskräfte, doch die wurden ihm - im Vergleich zur Situation auf den anderen Bauernhöfen im Ort - relativ spät zuerkannt. Inwieweit hier parteiinterne Querelen eine Rolle gespielt haben, kann nur vermutet werden.

Der führende Vertreter der "Deutschen Glaubenbewegung" in Brügge war Walter Lamp. Zusammen mit dem HJ-Führer Gustav Marxen hatte er 1934/35 dem früheren Pastor Karl Geist und der Evangelischen Kirche "das Leben schwer gemacht" und versucht, die Einwohner Brügges zum Kirchenaustritt zu bewegen. Lamp wird 1936 im Einwohnermelderegister als "Landwirt" bezeichnet. Er hat aber den "Erbhof" seines Vaters, Eduard Lamp, übernommen und kann somit auch als "Bauer" angesehen werden. Als solcher muss es in der damaligen Zeit einfacher gewesen sein, vom Arbeitsamt in Neumünster Ausländer als Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zu bekommen. Lamps Nähe zum Nationalsozialismus war allerdings unbestritten, und so kann es nicht verwundern, wenn auch ihm im Laufe der Zeit vier Zwangsarbeiter aus Polen zuerkannt worden sind: Im November 1941 kamen Franciszek und Marja K.. Es handelte sich um ein Ehepaar. Der Mann war 25 Jahre alt, die Frau 26 Jahre. Die 16jährige Leokadie J. musste im Februar 1942 ihren Dienst bei Lamp antreten. Im Juli desselben Jahres kam außerdem noch der 17jährige Iwan G.. Es gibt Hinweise von Zeitzeugen, dass diese vier Polen von Lamp nicht immer angemessen behandelt worden sind.

Der 1885 geborene Gustav Sander besaß mit 51 ha den drittgrößten "Erbhof" in Brügge. Er war in jungen Jahren (1920-22) schon einmal Bürgermeister gewesen und gehörte inzwischen zu den Honoratioren im Ort. Seine Tätigkeit als Kassenwart der NSDAP-Ortsgruppe (seit 1937) und Ortsobmann der DAF (seit 1939) wird sicherlich mitentscheidend dafür gewesen sein, dass auch ihm vom Arbeitsamt ausländische Hilfskräfte zugebilligt wurden: Im März 1941 kam der 20jährige Edward T. und im Januar 1941 der 19jährige Tadeusz R., beide aus Polen.

Dass man als NSDAP-Parteimitglied nicht unbedingt einen Bauernhof haben musste, um in den Genuss einer zusätzlichen Arbeitskraft zu kommen, macht das Beispiel des Schuhmachermeisters August Riecken deutlich. Riecken war seit 1933 durchgängig Gemeindevertreter und hatte sich mit dem NS-Staat weitgehend arrangiert. Im Dezember 1941 erhielt er den 22jährigen Ukrainer Nicolaus K. zur Unterstützung in seinem Handwerksbetrieb und im Dezember 1944 kam der 21jährige Iwan S., ebenfalls aus der Ukraine.

Die bisher genannten Beispiele verdeutlichen, dass die aktive Unterstützung des NS-Staates eine günstige Voraussetzung darstellte, um von den zuständigen Behörden Zwangsarbeiter für Hilfstätigkeiten im eigenen Betrieb zu erhalten. Von den 42 in Brügge eingetroffenen Ausländern wurden mindestens 25 bei örtlichen NSDAP-Mitgliedern beschäftigt. 36 wurden in der Landwirtschaft eingesetzt und dort fast ausschließlich auf "Erbhöfen". Lediglich zwei "Landwirte" waren (als Nichtbesitzer von Erbhöfen) mit je einer ausländischen Arbeitskraft bedacht worden. Die Erbhofbauern hatten 34 Personen erhalten. Sie hatten sich 1933/34 auf die Neuordnung der Landwirtschaft im nationalsozialistischen Sinne eingelassen und manche Einschränkung in der Verfügungsgewalt über ihren Hof hingenommen. Der Staat verpflichtete sich damals zur besonderen Unterstützung von Erbhofbauern und hatte jetzt eine kostenneutrale Möglichkeit gefunden, um dieses Versprechen einzulösen.

Die 6 nicht in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter wurden im Schuhmacherhandwerk (2), auf der Meierei in Brüggerholz (2), auf der Mühle (1) und beim Förster (1) beschäftigt. Der Unterförster Gustav Jantzen hatte 1943 die 20jährige Russin Jelena C. als Hausgehilfin bekommen. Von den 42 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die im Verlauf der Kriegsjahre nach Brügge kamen, waren 16 weiblich und 26 männlich. Die meisten von ihnen besaßen die polnische Staatsangehörigkeit (31), 5 kamen aus Jugoslawien, je 2 aus Lettland und der Ukraine und je 1 aus Russland und Belgien. Beim Eintreffen in Brügge waren 19 Personen noch keine 21 Jahre alt, darunter 6 Jugendliche im Alter von 16 Jahren. Bei den 21-25jährigen waren es 10 Personen und bei den 26-30jährigen ebenfalls 10. Lediglich eine Frau und ein Mann waren älter als 30 Jahre. Eine 20jährige junge Frau war im Juli 1944 mit ihrem 5 Monate alten Baby nach Brügge verbracht worden.[4]

Über das weitere Schicksal der hier genannten Personen ist in der Gemeinde Brügge nichts bekannt. Die älteren Einwohner erinnern sich nur noch bruchstückhaft an einige wenige von ihnen.


[*] Es handelt sich um Auszüge aus meinem Beitrag zur "Chronik der Gemeinde Brügge", Brügge 2002, S.174 ff.

[1] Kirchenchronik Brügge, in: Kirchenarchiv Brügge Nr.20, S.133f.

[2] Vgl. dazu Uwe Fentsahm: Auf den Spuren der polnischen Zwangsarbeiter in Wattenbek - oder: Die etwas andere Urlaubsreise, in: Mitteilungen des Geschichtsvereins für das ehemalige Amt Bordesholm, Heft 4 (1995), S.9ff.

[3] Diese und die nachfolgenden Angaben beruhen im Wesentlichen auf Eintragungen im Einwohnermelderegister der Gemeinde Brügge.

[4] ebd.