7. Schlußbetrachtung

1943 betrug der Anteil der Zwangsarbeiter an der Gesamtbevölkerung Ahrensböks rund 15%; er stieg 1944 auf rund 20 % und blieb auf diesem Niveau bis zum Kriegsende. Der tatsächliche Wert dürfte aber noch höher gelegen haben. Hierfür sprechen das Fehlen des zur Ableistung des Kriegsdienstes eingezogenen männlichen Bevölkerungsanteils und die außerdem zu berücksichtigenden ausländischen Kriegsgefangenen.

Dieses Arbeitskräftepotential hat den Alltag der Menschen mit geprägt. Es war nicht möglich, einfach über diesen Tatbestand hinwegzusehen. Das galt sowohl für das ohnehin überschaubare dörfliche Leben - auf jedem Bauernhof arbeiteten insbesondere Russen, Polen und Franzosen - aber auch für den Zentralort Ahrensbök mit damals rund 4.000 Einwohnern. Die in den Haushalten und den Betrieben im Orte Beschäftigten waren nicht zu übersehen.

Unübersehbar waren auch die Lager für die Zwangsarbeiter. Immerhin befand sich eines der drei Lager mitten im Ort. Die unzulänglichen Lebensumstände der Zwangsarbeiter hätten die Bürger eigentlich täglich aufrühren müssen. Läßt sich das offenkundige Fehlen des Mitgefühls allein mit der wachsenden Sorge um das eigene Schicksal erklären?

Allerdings darf nicht übersehen werden, daß es für die Behandlung der Zwangsarbeiter staatliche Normen mit strikten Sanktionen im Falle eines Verstoßes gegen diese Vorschriften gab, an denen man sich deshalb mehr oder weniger orientierte. Aber mit ein wenig Zivilcourage gab es durchaus die Möglichkeit, den Zwangsarbeitern im Einzelfall zu helfen. Auch unter Berücksichtigung der kriegsbedingten Lebensverhältnisse muß das Schicksal der Zwangsarbeiter fern ihrer Heimat nicht zwangsläufig immer unerträglich gewesen sein. Das Beispiel Hörsten oder der in den Ahrensböker Nachrichten am 17.2.1941 dokumentierte Mut von sieben Bürgern, Zwangsarbeitern mit Briefpapier und Briefmarken zu helfen, liefern Beispiele für anständiges Verhalten trotz Verbots und Reglementierung.

Wer vermag in vollem Umfange ermessen, was es bedeutet, daß 15 oder 16 Jahre alte Kinder praktisch von der Straße weg über mehr als 1.000 km entfernt von der Heimat in völlig fremder Umwelt leben und arbeiten mußten? Hierüber werden sich wohl nur allzu wenige Menschen Gedanken gemacht haben.

Die Angaben in der Ausländermeldekartei lassen auch erkennen, daß es bei der Gewinnung von Arbeitskräften ein stetiges Anziehen der Schraube gab. Während anfänglich auch zeitlich begrenzte Tätigkeiten (etwa ein Jahr, danach Rückkehr in die Heimat) zugelassen waren, gibt es das ab 1942 praktisch nicht mehr. Von dieser Entwicklung her könnte man durchaus zunächst von Fremdarbeitern sprechen. Doch schon bald wird dieser Begriff verschleiernd und unzutreffend. Angesichts der bald einsetzenden Gewalt bei der Gewinnung von Arbeitskräften für den Einsatz im Deutschen Reich wird man richtigerweise nur noch von Zwangsarbeitern sprechen können.

1945 wurden die Kriegsgefangenen und die Zwangsarbeiter sehr schnell in ihre (neue) Heimat zurückgeführt. In vielen Fällen wartete neues Unrecht auf sie. Der eine oder andere hat es daher in Erwartung dieser Entwicklung vorgezogen, hier zu bleiben bzw. hat versucht, in ein westliches Land zu kommen.

Eine entgegengesetzte Welle von deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen übernahm sehr schnell die frei gewordenen Behausungen der Zwangsarbeiter. Gegenüber dem Bevölkerungsstand von 1939 verdoppelte sich zeitweilig die Wohnbevölkerung Ahrensböks. Die schweren Nachkriegsjahre sorgten dafür, daß das Schicksal der Zwangsarbeiter schnell in Vergessenheit geriet. Es wurde auch später - von Einzelfällen abgesehen - nicht wieder erinnert. Man sah nur sein eigenes Unglück. Das an anderen verübte Unrecht blendete man aus. Deutlich wird das an einem 1952 im Bürgerpark am Flörkendorfer See errichteten Stein, auf dem es heißt: "Wir warten und mahnen die Welt - Vermißte, Kriegsgefangene, Verschleppte".

Und wer erinnert an die deportierten Zwangsarbeiter? Und erneut stellt sich die Frage: "Wer waren die Täter, wer die Opfer?"