1. Einleitung

Ahrensbök - im Landesteil Lübeck des Freistaates Oldenburg gelegen - wurde 1933 im Zuge einer kommunalen Gebietsreform zu einer Großgemeinde gebildet.[1] Mittelpunkt dieser Gemeinde war (und ist) der Ort Ahrensbök. Der oldenburgische Landesteil Lübeck ging 1937 auf das Land Preußen über und bildete den Kreis Eutin im Regierungsbezirk Schleswig.[2] 1970 wurden die Kreise Eutin und Oldenburg/Holstein zum Kreis Ostholstein zusammengelegt.[3]

Nach der Volkszählung 1939 lebten in dieser Gemeinde 5.063 Einwohner; knapp 2.000 Einwohner in Ahrensbök, die restlichen verteilten sich auf die zur Gemeinde gehörenden 19 Dörfer und Streusiedlungen. Von der Gemeindefläche mit einer Größe von 9.538 ha wurden 1970 noch 7.636 ha landwirtschaftlich genutzt. Dieser hohe landwirtschaftliche Nutzungsanteil kann auch für den betrachteten Zeitraum als eine gültige Größe herangezogen werden. Handel und Gewerbe waren dementsprechend stark auf die Landwirtschaft ausgerichtet. Die Industrie hatte nur eine geringe Bedeutung.

Anhand einer von mir in den 80er Jahren entdeckten Ausländermeldekartei aus der Zeit des Dritten Reiches ist eine konkrete Beschreibung des Fremdarbeiter-Einsatzes in einem überschaubaren kommunalen Bereich möglich.[4]

Ermutigt durch die 1997 in Lübeck-Herrenwyk gezeigte Ausstellung "Ich erinnere mich nur an Tränen und Trauer ... Zwangsarbeiter in Lübeck 1939 - 1945" habe ich mich erneut mit diesem weitgehend vergessenen Thema beschäftigt. Dabei ist es mir gelungen, durch die Auswertung von Personenstandsbüchern der Gemeinde und Beerdigungsregistern der Kirchen weitere Daten zu erschließen.

Nachfolgend soll diese Ausländermeldekartei mit den registrierten 1294 Namen nach Geschlecht, Herkunftsland, Zuzugsalter, Zuzugsdatum, Fortzugsdatum bzw. Sterbetag und Arbeitseinsatzbereich (z.B. Landwirtschaft, Haushalt usw.) ausgewertet werden. Unter Berücksichtigung der Zu- und Abgänge kann damit die jeweilige Zahl der Zwangsarbeiter genau errechnet werden. Ihr Anteil an der Meldebevölkerung von 1939 betrug vom Herbst 1943 bis zum Kriegsende zwischen 15 und 20 %. Unter Berücksichtigung der eingezogenen und gefallenen Soldaten dürfte dieser Anteil tatsächlich aber deutlich höher gelegen haben.

Die in den Meldekarteikarten enthaltenen Rubriken geben Auskunft zu folgenden Daten:

  1. Name und Vorname einschließlich der Familienmitglieder
  2. Geburtsdatum und Geburtsort
  3. Religion
  4. Familienstand
  5. Staatsangehörigkeit
  6. Beruf
  7. Arbeitsbuch-Nummer
  8. Meldedaten (Zu- und Abgang)
  9. Arbeitsstelle

Nach intensiver Beschäftigung mit den vorhandenen Daten ist festzustellen, daß die Kartei - zunehmend gegen Ende des Krieges - nicht immer vervollständigt worden ist. So fehlen einige Geburts- und Sterbeeinträge. Es fehlen aber auch einige Meldekarteikarten, wie unter anderem anhand von Sterbefällen festgestellt werden konnte.

Die Ausländermeldekartei enthält nur die zum Einsatz gelangten Zivilpersonen und nicht die seinerzeit auch in der Gemeinde beschäftigten Kriegsgefangenen. Wie hoch dieser Anteil an der Bevölkerung war, kann derzeit nicht beantwortet werden. Es dürfte sich aber ebenfalls um mehrere hunderte Menschen gehandelt haben. In der Liste der Sterbefälle ist gleichwohl der am 31. 1. 1945 infolge eines Unglücksfalles in Siblin verstorbene französische Kriegsgefangene Desiré Longis aufgenommen worden. Ob es unter den Kriegsgefangenen noch weitere Todesfälle gab, kann nicht abschließend beantwortet werden. Es ist aber eher zu verneinen, weil sowohl das Standesamt als auch die Beerdigungsbücher der Kirchen keine entsprechenden Hinweise enthalten. Andererseits gibt es Gerüchte, daß auf dem Gut Dunkelsdorf zwei Russen zu Tode gekommen sein sollen. Unklar ist, ob es sich um Kriegsgefangene oder Zivilarbeiter gehandelt hat.

Die hohe Zahl der ausländischen Arbeitskräfte macht deutlich, daß im dörflichen Bereich nahezu jede Familie unmittelbar mit Zwangsarbeitern in Berührung trat. Die Auswertung der Daten macht weiter deutlich, daß sich eine Begegnung mit den Zwangsarbeitern durch deren Beschäftigung in den Betrieben, in der Landwirtschaft und den Haushalten nicht vermeiden ließ. Nicht zu übersehen war auch, daß z. B. mitten im Ort die Wohnbaracke für die zumeist weiblichen Zwangsarbeiter der Globus-Gummi- und Asbestwerke GmbH lag - direkt an der Lübecker Straße neben dem alten Pastorat. Ein Wegsehen war kaum möglich. Liegt hier der Grund für die Tabuisierung dieses Geschehens, seine nahezu völlige Verdrängung nach 1945 ?

Angesichts der Verdrängung dieses Geschehens kann es nicht überraschen, daß der Versuch, Zeitzeugen aus Ahrensbök zu Wort kommen zu lassen, weitgehend scheiterte. Ebenfalls gelang es nicht, ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen, die sich in den letzten Jahren an die Gemeinde Ahrensbök wegen einer Bescheinigung der geleisteten Arbeitszeit gewandt hatten, dazu zu bewegen, sich zu den Erlebnissen und Erfahrungen in Ahrensbök zu äußern.

Eine an die Globus-Gummi- und Asbestwerke GmbH gerichtete Bitte, die Firmenunterlagen über die damals in dem Gemeinschaftslager auf dem Firmengrundstück untergebrachten Zwangsarbeiter einsehen zu dürfen, blieb ohne Erfolg. Wegen der veränderten Eigentümer- und Geschäftsführersituation ab 1994 und weil aus der Kriegszeit Unterlagen nicht mehr zur Verfügung stünden, sei eine Auskunft nicht möglich, hieß es knapp. Die Jubiläumsschrift der Firma anläßlich ihres 75jährigen Bestehens im Jahre 1982 spart diesen Abschnitt ihrer Geschichte aus. Die Unterlagen des zweiten größeren Betriebes, der 1937 gegründeten und 1956 durch Konkurs geschlossenen Genossenschafts-Flachsröste Ahrensbök GmbH konnten bislang nicht aufgefunden werden.


[1] Gesetz für den Landesteil Lübeck, betr. die Vereinfachung und Verbilligung der öffentlichen Verwaltung (Vereinfachungsgesetz) vom 8. 9. 1933, GVOBl. für den Freistaat Oldenburg/Landesteil Lübeck, 1933, S. 1001 ff..

[2] Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen, RGBl. 1937, S. 91 ff..

[3] 2. Gesetz einer Neuordnung von Gemeinde- und Kreisgrenzen sowie Gerichtsbezirke vom 23. 12. 1969, GVOBl. Schl.-H. 1969, S. 280.

[4] Im Zuge des Umzugs in ein neues Rathaus Mitte der 80er Jahre entdeckte ich die alte Ausländermeldekartei in vier Holzkästen. Meine Auswertungen habe ich Jürgen Brather zur Verfügung gestellt. Sie sind eingeflossen in sein Buch "Ahrensbök in der Zeit von 1919-1945, Lübeck, 1998, S. 197 ff..