Die Errichtung eines Kommandos

 „Es müssen bei gutem Willen doch Mittel und Wege gefunden werden können, um die Gefangenen für die Gemeinde Büdelsdorf beschleunigt frei zu machen.“ Weiter heißt es in diesem Beschwerdebrief des Bürgermeisters an das Arbeitsamt: „Ich nehme ergebenst Bezug auf mein Schreiben vom 9. September, in dem ich sie dringend bat, für beschleunigte Zuweisung von Kriegsgefangenen einzutreten. Ich mache darauf aufmerksam, daß die „Deutsche Wacht“ als Gefangenenlager für reichlich 100 Kriegsgefangene vorgesehen ist.“[26]

Nachdem dieses Schreiben nicht den gewünschten Erfolg zeigte - immer noch waren nicht genügend Gefangene in Büdelsdorf eingetroffen - wandte sich der Bürgermeister an den Deutschen Gemeindetag in Berlin: „Um den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen für die hiesige Industrie und Handwerkerschaft zu ermöglichen, wurde von mir durch das Arbeitsamt ein Antrag auf Zuweisung von Kriegsgefangenen gestellt, und zwar bereits am 30. 8. 1940. Es wurde mir damals vom Arbeitsamt erklärt, mit der Zuweisung sei in 8-14 Tagen zu rechnen. Ich habe daraufhin sofort ein hiesiges Lokal gemietet und für die Ausrüstung als Kriegsgefangenenlager gesorgt.“ [27] Er beklagt, dass "bisher nur ein kleiner Teil der Gefangenen zugewiesen worden wäre" und dass die Handwerker "um ihre Arbeitskräfte sehr verlegen" wären.

Der Antrag, Kriegsgefangene zu erhalten, wurde auf einem Vordruck über das zuständige Arbeitsamt gestellt. Das Arbeitsamt gab, bevor der Antrag weitergereicht wurde, eine eigene Stellungnahme ab. Dies geschah auf der Grundlage eines Erlasses vom 12.8. 1940: „Über die Frage der Dringlichkeit des Kriegsgefangeneneinsatzes und die Reihenfolge, in der die Anforderungen von Kriegsgefangenen zu decken sind, entscheiden die örtlich zuständigen Arbeitsämter, gegebenenfalls die Landesarbeitsämter oder das RAM.“[28]

Untergliedert war die Anforderung in fünf Rubriken, in denen jeweils bestimmte Auskünfte verlangt wurden:

I.                    Der Betrieb: Name und Sitz, Arbeitsort und Bahnstation.

II.                 Zahl und Art: Arbeitskräfte, besondere Kenntnisse, genaue Bezeichnung der zu verrichtenden Arbeiten, Dauer der Arbeit. Unter „Sonstiges“ konnte u.a. die Dringlichkeit der Maßnahme beschrieben werden.

III.               Arbeitsbedingungen: wöchentliche Arbeitszeit. Lohnangaben wurden nicht gefordert. Stattdessen hieß es: „Löhne: 60% der zuständigen Lohnsätze für freie deutsche Arbeiter, soweit das Entgeld für Kriegsgefangene nicht besonders festgelegt ist.“

IV.              Unterkunft und Verpflegung: Unterbringung der Wachmannschaften. Unterbringung der Kriegsgefangenen, z.B. vergitterte Fenster, Stacheldraht.

V.                 Sonstiges.

Anschließend folgt eine Verpflichtungserklärung, die Kriegsgefangenen „zu den oben festgestellten Bedingungen einzustellen“.

Die Sammelbestellung aus Büdelsdorf unterzeichnete im Einklang mit dem Erlass vom 12.8. 1940 stellvertretend für die Betriebe der Bürgermeister.

„Ebenso können Gemeinden, Gemeindeverbände, Ortsbauernschaften usw. Kriegsgefangene anfordern, die dann von der gemeinsamen Unterkunft aus an die einzelnen Betriebe tagsüber einzeln abgegeben werden (...)“.

Über den Bürgermeister liefen auch die Anträge, nachdem er am 27. 8. 1940 sämtliche "Handwerksmeister und Unternehmer" mit dem Hinweis „Eilt sehr!“ unterrichtet hatte, dass es nun möglich sei, Kriegsgefangene überwiesen zu bekommen:

„Ich bitte daher alle hiesigen Unternehmer und Handwerksmeister mir umgehend ihren Bedarf an Handwerkern der verschiedenen Branchen aufzugeben. Es kann die Überweisung von Bäckern, Schlachtern, Schneidern, Schuhmachern, Schlossern, Zimmerern, Malern, Mauerern, Sattlern, Klempnern, Elektrikern, Arbeitern usw. beantragt werden. Die zu zahlende Entschädigung ist verhältnismäßig gering. Für die Unternehmer besteht auch kein Risiko, falls die Arbeitsaufträge nachlassen. Das Arbeitsamt ist jederzeit in der Lage, die Kriegsgefangenen in solchem Falle anderweitig einzusetzen.“[29]

Die Betriebe machten Gebrauch von diesem risikolosen und billigen Angebot.

Innerhalb kürzester Zeit wurde daraufhin das Lokal „Deutsche Wacht“ umgebaut, so dass es rund 160 Gefangene aufnehmen konnte. „Die Abnahme ist bereits am Freitag, den 13. Sept. durch die zuständige Stelle erfolgt."[30] Bestimmt war: „Die Unterkünfte müssen hygienisch einwandfrei sein und die Bewachung der Kriegsgefangenen ermöglichen (vergitterte Fenster, sicherer Türverschluss, nötigenfalls Umwehrung mit Stacheldraht, Beleuchtung).“ Zusätzlich waren „volkstumspolitische Gesichtspunkte“ zu berücksichtigen.[31] Das schnelle Anmieten eines Lokals und dessen Umbau waren allerdings nur möglich, weil schon seit einiger Zeit Ermittlungen erfolgten, wo Kriegsgefangene unterzubringen seien. Bei der Betrachtung dieser Vorgänge finden sich zwei Niederschläge der nationalsozialistischen Außen- und Kriegspolitik im Gemeindearchiv.

Am 9. 4. 1940 überfiel die deutsche Wehrmacht Dänemark und Norwegen. In den Unterlagen der Gemeinde Büdelsdorf über das Arbeitskommando 956 befindet sich bereits für den 5. 4. 1940 eine Aktennotiz:

„Betr. Unterbringung von Gefangenen

Für die Unterbringung von Gefangenen sind die Säle Spitzkrug und Deutsche Wacht gemeldet. (...) An weiteren Räumen wären dann noch vorhanden: 1. Saal bei Bäcker Drews, Menzelstr., 2. Saal bei Petersen, Weintraube. (...).“ [32]

Die Sorge für erhoffte Kriegsgefangene, insgesamt 400, Quartiere zu erhalten, wiederholte sich, nachdem am 10. 5. 1940 der deutsche Angriff im Westen erfolgt war, im Mai des Jahres.

Am 22. 6. 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die ehemalige Sowjetunion. Das Fehlen einer vergleichbaren „Vorsorge“ für den Angriff auf die Sowjetunion und die Folgen für die Kriegsgefangenen werden u.a. in dem folgenden Artikel von Christian Streit beschrieben.

Verfolgen wir nun aber weiter die Schwierigkeiten der Gemeinde Büdelsdorf, genügend angeforderte Gefangene zu bekommen. Aus einer Notiz des Bürgermeisters lässt sich schließen, dass fest mit der Zuweisung der Gefangenen gerechnet wurde. „Die Carlshütte bekommt am 16. September die ersten Kriegsgefangenen. Das Wachkommando ist bereits eingetroffen.“ Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht, so dass der Bürgermeister am 2. 10. 1940 niederschrieb: „Nach Mitteilung des Arbeitsamtes bestehen noch gewisse Schwierigkeiten, die Zuweisung von Kriegsgefangenen zu erreichen. Das Arbeitsamt ist mit Nachdruck bestrebt, diese Schwierigkeiten zu beseitigen.“ [33]

Die Not der Gemeinde Büdelsdorf war offensichtlich auch eine Not der anderen Gemeinden und nicht nur im Jahre 1940. Die Nachfrage nach Kriegsgefangenen war so groß, dass der Deutsche Gemeindetag beim Reichsarbeitsminister vorstellig wurde:

 „Den Wünschen aus Kreisen der Gemeinden und Gemeindeverbände entsprechend bin ich an den RAM mit der Bitte herangetreten, Kriegsgefangene, die mit gemeindlichen Aufgaben beschäftigt sind, nach Möglichkeit gar nicht oder nur in geringen Umfang gegen den Willen der Gemeinden und Gemeindeverbände abzuziehen, weil in der Regel nicht unerhebliche Kosten für die Unterbringung der Gefangenen aufgewandt sind. Der RAM hat darauf folgende Antwort, die ich seinem Wunsche gemäß hiermit zur Kenntnis bringe, erteilt:

'Auch bei dem Einsatz von Kriegsgefangenen gelten die allgemeinen Richtlinien und Dringlichkeitsordnungen für die Zuweisung von Arbeitskräften. Die Zahl der zum Arbeitseinsatz zur Verfügung stehenden Kriegsgefangenen reicht bei weitem nicht zur Deckung der außerordentlich hohen Anforderungen der kriegswichtigen Bedarfsstellen aus. Infolgedessen können Anforderungen, insbesondere für nicht in Dringlichkeitsstufen aufgenommene Arbeitsvorhaben, nicht voll gedeckt werden, und es müssen sogar u. U. Kriegsgefangene zugunsten der besonders vordringlichen und für die Kriegsführung besonders wichtigen Arbeiten von anderen Vorhaben abgezogen werden.

Ich verkenne die von Ihnen angezeigten Schwierigkeiten für die Gemeinden und Gemeindeverbände nicht und stimme Ihnen auch dahin zu, daß bei dem Abzug von Kriegsgefangenen auch diese Gesichtspunkte nach Möglichkeit mitberücksichtigt werden sollten. Ich möchte annehmen, daß es den Leitern der Gemeinden und Gemeindeverbände gelingt, durch persönliche Fühlungnahme mit den Leitern der Arbeitsämter Unzuträglichkeiten und besondere Härten zu beseitigen und zu vermeiden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihre Dienststellen in diesem Sinne unterrichten wollen.'

 Hiernach müsste künftig versucht werden, auftauchende Schwierigkeiten durch persönliche Vorstellungen bei dem Leiter des zuständigen Arbeitsamtes aus dem Wege zu räumen.“[34]

Das Arbeitskommando Büdelsdorf erhielt im Laufe des Jahres 1940 die geforderte Anzahl von Kriegsgefangenen und versorgte später auch die Handwerker aus Rendsburg mit Arbeitskräften. Die Gemeinde gehörte damit zu den wenigen, die im Rennen um die Gefangenen gut abgeschnitten hatten.

Gerade die kleineren Betriebe hatten großes Interesse, Gefangene aus der „Deutschen Wacht“ zu beziehen, galt doch für ihre Unterbringung, dass eine Mindestgröße des Kommandos einzuhalten sei: „Die Mindestgröße eines Arbeitskommandos beträgt bei nicht landwirtschaftlichem Arbeitseinsatz 20 Kriegsgefangene. Von diesem Arbeitskommando aus können einzelne Gruppen von weniger als 20 Kriegsgefangenen auf Einzelarbeitsstellen abgeordnet werden, sofern ihre Überwachung ausreichend gesichert ist und sie abends in die Sammelunterkunft des Arbeitskommandos zurückkehren. Bei landwirtschaftlichem Arbeitseinsatz beträgt die Mindeststärke 10 Kriegsgefangene.“[35]

Um einen Arbeitseinsatz in kleineren Betrieben zu ermöglichen, galten diese Ausnahmebestimmungen: „Kleinere Betriebe (...) schließen sich zweckmäßigerweise zu losen Gemeinschaften zusammen und beantragen gemeinsam die Zuweisung von Kriegsgefangenen.“ [36] Auch brauchten die Gefangenen nicht „abgesondert und in besonderen Abteilungen beschäftigt werden.“

Für die kleineren Betriebe übernahmen z.B. die Gemeindeverwaltungen oder die Kreishandwerkerschaften die Abrechnung mit dem Stalag. Auch hierfür wurden genormte Bögen benutzt.

Die größeren Betriebe erfüllten diese Aufgabe selbst: „Grundlage der Überweisung von Kriegsgefangenen zu Arbeitszwecken ist ein zwischen dem Stalag und dem Unternehmer abzuschließender Vertrag. In diesem Vertrag verpflichtet sich der Unternehmer u.a., die für die Gefangenenarbeit festgesetzten Vergütungssätze an die Zahlmeisterei des Stalags abzuführen. Zwischen dem Unternehmer und dem Kriegsgefangenen selbst bestehen vertragliche Verpflichtungen nicht.“[37] Diese Verträge wurden später nicht mehr abgeschlossen. In Zukunft brauchen „mit dem Unternehmer nicht mehr Überlassungsverträge abgeschlossen zu werden. (...) Vielmehr brauchen nunmehr bei der Überlassung von Kriegsgefangenen dem Unternehmer die für die Überlassung von Kriegsgefangenen geltenden Bedingungen nur durch ein Merkblatt bekanntgegeben werden.“ [38]

Wenn angesichts dieser rechtlichen Voraussetzungen viele Firmen in ihren Chroniken dem Beispiel der Carlshütte folgen, die im Band „125 Jahre Carlshütte“ verkündet, dass 1940 Polen zugewiesen wurden,[39] so ist das sehr ungenau:

Zugewiesen wurden die Gefangenen, nur die Firmen haben sie vorher angefordert. Am 30. 8. 1940 notierte der Büdelsdorfer Bürgermeister dementsprechend: „Die Carlshütte will 50 Kriegsgefangene haben.“

Als die Verträge noch unterschrieben wurden, hieß es: „Der unterzeichnete Betrieb verpflichtet sich, die auf Grund dieser Anforderung zugewiesenen Kriegsgefangenen von dem Tage der Arbeitsbereitschaft an der Arbeitsstelle an, zu den oben festgesetzten Bedingungen einzustellen.“ [40]

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[26] Schreiben des Büdelsdorfer Bürgermeisters vom 22.10.1940

[27] Schreiben des Büdelsdorfer Bürgermeisters vom 30.10.1940

[28] Runderlass des RMdI vom 12.8.1940

[29] Schreiben des Büdelsdorfer Bürgermeisters vom 27.8.1940

[30] Notiz des Büdelsdorfer Bürgermeisters vom 17.9.1940

[31] Runderlass des RMdI vom 12.8.1940

[32] handschriftliche Notiz im GAB - Abt. Ausländerwesen

[33] Schreiben des Büdelsdorfer Bürgermeisters vom 2.10.1940. GAB - Abt. Ausländerwesen

[34] Nachrichtendienst des Deutschen Gemeindetages vom 5.4.1941

[35] Runderlass des RMdI vom 12.8.1940

[36] Runderlass des RMdI vom 12.8.1940

[37] Runderlass des RMdI vom 12.8.1940

[38] Runderlass des RMdI vom 2.7.1942. Einsatz von Kriegsgefangenen in Arbeitsstellen. Ministerialblatt des Reichs- u. Preuß. Min. des Inneren

[39] 125 Jahre Carlshütte. Rendsburg 1952

[40] Antragsformular im GAB - Abt. Ausländerwesen

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